Hank & Me

Der Teaser Track “I’m So Lonesome I Could Cry“ hat mich dazu bewogen mein Verhältnis zu Hank Williams Senior Revue passieren zu lassen.

Als Kind habe ich ohne es zu wissen bereits regelmäßig Hank Williams-Songs gehört, allerdings selten im Original, sondern meist in der Version von Jerry Lee Lewis. Mein Vater hat als großer Fan insbesondere die Country-Alben des Killers gehört, die nach seiner kurzen Karriere als Rock and Roller ab etwa Mitte der 1960er entstanden sind. Wer Jerry Lee Lewis kennt, weiß welche große Meinung er vom Songschreiber Hank Williams hat. Von ihm stammt auch die Aussage, dass es letztlich nur vier wahre „Stilisten“ gegeben habe. Bei Jerry Lee Lewis klingt das dann so:

“There’s only been four of us, Al Jolson, Jimmie Rodgers, Hank Williams, and Jerry Lee Lewis. That’s your only four fuckin’ stylists that ever lived.” (JLL nach Guterman, Chapter 2)

Während des Zivildienstes hatte ich eine Phase in der ich sehr intensiv die Sun-Sessions von Jerry Lee Lewis gehört und transkribiert habe. In seinem hoch spannenden Mix von Folk, Blues, Gospel, Pop und Rock and Roll Songs, der lange Jahre unveröffentlicht blieb, spielen Hank Williams-Songs eine zentrale Rolle. Und es ist keine Überraschung, dass die zweite Killer-Single „Great Balls Of Fire“ auf der B-Seite den Hank Williams Song „You Win Again“ hat, der es damals bis auf Platz 2 der Country & Western-Charts brachte, eingespielt übrigens alleine am Piano mit minimalster Begleitung vom Schlagzeug. Hier deutet sich Jerry Lee’s zweite Karriere in der Country Musik bereits an.

Ich habe mir dann das Album „24 of Hank Williams’ Greatest Hits“, das ich noch aus meines Vaters Sammlung als Vinyl kannte, als CD gekauft und oft gehört. Es wurde zu meiner Standard CD bei den langen Fahrten zu einem Musikverein in MSP bei dem ich zu Beginn meines Studiums mein erstes Engagement als Gitarrenlehrer bekam. Anfangs besaß ich noch kein eigenes Auto um hinzukommen. Freundlicherweise bekam ich dafür den altehrwürdigen Peugot 504 einer Freundin geliehen und ich kann mich noch daran erinnern wie ich wirklich monatelang auf Hin- und Rückfahrt zusammen mit Hank Williams die Songs gesungen habe. Die Texte konnte ich bald auswendig, aber die Country-Jodels waren eine echte sängerische Herausforderung und ich kann sicher sagen es war gut, dass ich diese Technik alleine in der akustisch abgeschotteten Kabine des Wagens geübt habe. Es hat eine gute Weile gedauert bis das Jodeln funktionierte. Ein Vorteil war dabei sicher, dass Hank Williams einer der wenigen Sänger ist, der fast genau denselben Stimmumfang hat wie ich (der einzig andere für mich relevante: Jim Croce). Das bedeutet, dass ich wirklich ausnahmslos jeden seiner Songs ohne größere Umstände mitsingen und nachsingen kann. Das dürfte auch einer der Gründe sein, warum ich monatelang ohne Überdruss seine Songs singen konnte.

Mit „Lovesick Blues“ kam dann kurz danach ein in der Version von Hank Williams populär gewordener Song auf das Album „Leave the Blues behind“ (2000) der Bluesformation Schütze & Stückle. Ich halte es heute für eines der gelungeneren Stücke des Albums (zusammen mit „West Texas Moon“), weil ich hier sängerisch, aber auch vom Repertoire her erstmals für mich neue Wege einschlug. Wie prophetisch der Album-Titel gewählt war wurde mir erst Jahre später bewusst. Mit dem ersten Will Handsome-Album (2002) ging ich dann noch stärker in diese Richtung, allerdings wurde die Produktion fast eine Studie in historischer Aufführungspraxis. Die Songs waren „Wedding Bells“ und „Hey, Good Lookin’“, auf dem Nachfolger (2006) waren mit „Ramblin’ Man“, „Long Gone Lonesome Blues“ und „Weary Blues“ bereits drei Hank Williams-Songs auf einem Album. Und nun also der Klassiker „I’m so Lonesome I could cry“ in einer, wie ich finde, exquisiten Version.

Seit vielen Jahren besitze ich die CD-Boxen „The Complete Hank Williams“ (10 CDs, Mercury 1998), „The Unreleased Recordings“ (3 CDs, Time Life 2008) und „Hank Williams Revealed“ (3 CDs, Time Life 2009). „Hank Williams. The Biography“ von Colin Escott habe ich mehrfach gelesen. Zum Einstieg empfehle ich aber immer noch „24 of Hank Williams’ Greatest Hits“ und „Hank Williams alone with his Guitar“ (Mercury 2000). Und noch ein ganz wichtiger Tipp zum Schluss: Mitsingen nicht vergessen!

Epi-Log: Hank Williams Senior wäre in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden. Er ist in der Neujahrsnacht vor 60 Jahren im Alter von nur 29 Jahren auf einer nächtlichen Fahrt und völlig unbemerkt von seinem Chauffeur auf dem Rücksitz eines Cadillacs einsam verstorben.

8 Gedanken zu „Hank & Me

  1. Ich mag deine Kategorie “Story” 🙂 …. Interessant zu lesen, wie einzelne Musiker von anderen Künstler beinflusst, bzw. geprägt sind oder welche Bedeutung sie für sie haben. Danke, für diese Einblicke.

    Bei dem Begriff “Country-Jodel” habe ich sehr geschmunzelt. Aber warum eigentlich Country? Insbesondere die Nummer “I’m so lonesome I could cry” lässt sich für mich schwer in die Kategorie Country drängen… für mich klingt das vielmehr nach Blues. So, also ich als nicht notenlesender Mensch, der keine Ahnung von Taktlehre hat, etc. höre da keinen Country. Mir ist schon klar, dass sich nicht jede Nummer in eine einzige Schublade stecken lässt, auch nicht unbedingt jeder Künstler in nur eine…

    Also, die eigentliche Frage ist: Kann man Blues und Country komplett voneinander abgrenzen?

    • Vielen Dank für den Kommentar und die sehr interessante Frage am Schluss.

      Zuerstmal: Die erwähnten Kategorien sind historisch betrachtet kommerzielle Einteilungen der Musikindustrie. Zu festen Begriffen wurden sie seit Anfang der 1940er Jahre durch die Musikcharts des amerikanischen Billboard Magazins. Eingeteilt wurde anfangs in die Kategorien Folk, Pop und Race (er herrschte noch Segregation). Dabei stand grobgesprochen “Folk” für die folkloristisch und zum Teil noch sehr von europäischen Zuwanderern geprägte Musik der amerikanischen Landbevölkerung, “Race” für die Musik der afro-amerikanischen Bevölkerung und “Pop” für die Musik der gebildeten Städter. Die Begriffe haben sich über die Jahre immer wieder verändert, ab 1958 hießen die Kategorien offiziell C&W (für Country & Western), Hot 100, und R&B (für Rhythm & Blues, aber auch Jazz). Heute heißen sie längst wieder anders (Hot Country, Hot 100, Hot R&B/Hip-Hop). Diese Einteilung und künstliche Abgrenzung sollten es dem Zielpublikum erleichtern die Entwicklungen in der von ihnen bevorzugten Musikrichtung zu verfolgen. Aber auch hier gab es spätestens seit dem Rock and Roll zum Teil große Probleme eine Veröffentlichung einer Kategorie zuzuordnen und so galt es bald als großer Erfolg für einen Künstler als sog. “Chartcrosser” in zweien oder gar allen Kategorien gelistet zu sein. Der Erste, dem das mit 3 mal Platz #1 gelang, war übrigens Elvis Presley (“Heartbreak Hotel”, 1956).

      Musikalisch gesehen sieht die Sache etwas anders aus. Hier zählt nicht die Einteilung von Industrie oder Vermarktern, sondern das Werk und der Kontext. Und natürlich lassen sich hier wesentlich schwerer irgendwelche kategorischen Grenzen ziehen. Im vorliegenden Fall von Hank Williams “I’m so lonesome I could cry” zählt der Schreiber und Interpret sicher erstmal zur weißen Landbevölkerung und seine Musik wurde hauptsächlich von weißen Hillbilly-Radiostationen gespielt. Die musikalischen Parameter muss man in diesem Fall sehr differenziert betrachten. Songtext, Taktart (Walzer) und Bandbesetzung (Steelguitar, Fiddle) sind deutlich “Country”, aber Tonart (E-Dur), Akkordfolge (Bluesform) und Gesangstil haben deutlich blues-igen Charakter.

      Wenn man weiß, dass die erwähnten Begriffe kommerzielle Kategorien sind, wird klar, dass es aus musikalischer Sicht meist keine deutliche Abgrenzung zwischen Blues und Country gibt. Die hat es historisch auch nicht gegeben. Was es gegeben hat ist die Segregation der amerikanischen Bevölkerung in Schwarz und Weiß (und Arm und Reich) und die schwingt bei der Einteilung meiner Meinung nach noch ordentlich mit.

      Es gibt übrigens viele Beispiele für die perfekte Synthese der beiden angeblich getrennten Kategorien. Ein sehr plakatives, aber auch gelungenes Beispiel ist für mich das Album “Modern Sounds in Country and Western Music” von Ray Charles (ABC, 1962).

  2. Vielen Dank für deine Antwort. (Da schmeißt du so einfach “den King” in den Raum und gehst nicht weiter drauf ein… Heartbreak Hotel wäre für mich bei Rock’n Roll und Blues gelandet und ich liebe, liebe, liebe diese Nummer!).
    Ein Merkmal hast du aber vergessen: Den Hut! Doch definitiv ein weiterer Parameter für die Schublade “Country” … wenn auch manchmal der Einzige 😉

    Du hast ein interessantes Album am Ende genannt. Kannst du ein Buch empfehlen, dass sich mit dem Thema Musikgeschichte befasst in den Jahren 1920 – 1960… also quasi Jazz, Blues, Country, Rock’n Roll? Zum einen würde mich die Entwicklung geschichtlich und der gesellschaftliche Kontext weitergehend interessieren, aber eben auch die stylistischen Merkmale in der Musik selbst…. gibts ein Buch, das auf beide Bereiche Bezug nimmt?

    • Der Hut, wie konnte ich den Hut als charakteristisches Accessoire vergessen? Wurde aber übrigens bereits in den 1940ern als bewusst völlig überzeichnetes Klischee eingesetzt.

      Hier eine kleine Auswahl als Literaturempfehlung zum Thema:
      Shaw, Arnold: Honkers and Shouters (MacMillan, 1978)
      Escott, Colin: Hank Williams. The Biography (Little, Brown, 1994)
      Coleman, Rick: Blue Monday (Da Capo, 2006)
      Wald, Elijah: How the Beatles destroyed Rock’n’Roll (Oxford, 2009)

      • Soso…in den 40ern. Unabhängig davon, wie es aussieht? Erschreckend! 😉 Deshalb muss es soviel mehr männliche Sänger geben 😀

        Danke, für die Buchtipps! 🙂

        • Zur Hutfrage: Bei einem meiner letzten Trips war ich im Süden der USA. Alle Männer um mich rum hatten Hüte auf und ich dachte mir noch: Mein Gott sieht das albern aus. Danach lief ich mehrere Stunden ohne Hut in der prallen Südstaaten-Sonne durch die Gegend und weißt du was ich dann bei der nächsten Gelegenheit gemacht habe? Du ahnst es, ja, ich habe mir einen Hut gekauft, so richtig breit mit fetter Krempe und der Schatten tat so gut und ich habe mit den anderen Cowboys über die Greenhorns gelacht, die meinten ohne Hut rumzulaufen wäre cooler. Mein Fazit: Hut ist immer kontextabhängig!

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