Mein Album „2174“

2174Am Donnerstag dieser Woche findet ab 20.00 im Blauen Adler in Würzburg ein besonderes Konzert statt. Erstmals überhaupt spiele ich in kleiner Besetzung alle Songs meines Debutalbums „2174“ aus dem Jahr 2004. Die Songs des Albums sind in den letzten Jahren in meinen regulären Konzertprogrammen nicht mehr oft aufgetaucht, wurden nach Veröffentlichung relativ bald durch andere Songs von aktuelleren Alben ersetzt, einige der Songs habe ich sogar überhaupt noch nie vor Publikum gespielt. Die Dennis Schütze Combo wird in der ersten Hälfte des Abends die Songs dieses Albums in der vorbestimmten Reihenfolge interpretieren. Aus Alt mach Neu, sozusagen.

Es ist aber mehr als ein bloßes Recycling, das hat sich bereits in den Vorbereitungen und Proben abgezeichnet. Wenn man als Schreiber mit zeitlichem Abstand auf eine eigene Songsammlung und deren Inklangsetzung innerhalb einer abgeschlossenen Phase zurückblickt, löst das schon besondere Gefühle aus. So war es zumindest bei mir. Es kommt mir vor, als betrachte ich das Leben eines anderen Mannes mit einem anderen Leben unter anderen Umständen mit anderen Möglichkeiten und anderen Problemen. Kann kaum glauben, dass ich das gewesen sein soll.

Die Entstehung des Albums „2174“ war kein Spaziergang, es war eine übermenschliche Anstrengung (so empfand ich das damals), die mich jahrelang beschäftigt und gequält hat, aber getan werden musste. Heute bin ich froh, dass ich dran geblieben bin, dass ich mich nicht habe entmutigen lassen, freue mich dass ich die CD heute in den Händen halten und anhören kann. Der Prozess dazu wurde zu einem wesentlichen Bestandteil meiner künstlerischen Entwicklung. Vielleicht ist der irre Kraftaufwand, den ich mit der Erarbeitung des Album verbinde, der Grund, dass die Songs relativ schnell aus meinem regulären Programm verschwanden und ersetzt wurden. Ich weiß es nicht, aber wenn ich heute drüber nachdenke, klingt es plausibel. Dazu kam, dass während der langjährigen Produktionsphase längst neue Lieder geschrieben worden waren, die mir wichtiger, unbelasteter und gestaltbarer erschienen.

Eigene Musik begann ich im Alter von ca. 13 Jahren zu schreiben, erste Songs schrieb ich kurz danach, also mit ca. 16 und das wurde dann intensiver während meiner Zeit als Austauschschüler in den USA und nach meiner Rückkehr. Mit Anfang 20 hatte ich erstes verwertbares Songmaterial und brachte das ins Liveprogramm und die Albumproduktionen meiner ersten Bluescombo ein. Damit machte ich gute Erfahrungen, fasste mir ein Herz und begann im Jahr 2000 mit den Aufnahmen an einem Album unter eigenem Namen. Ich arbeitete daran mit voller Energie und Leidenschaft, aber es gab einige Probleme, die ich nicht erkannte oder erkennen wollte. Die Songauswahl war nicht stark genug, die Arrangements unfertig, ich hatte keine klangliche Vorstellung, das schwerwiegendste aber war, ich hatte keine eingespielte Band, keinen Solisten, keinen Produzenten und verfügte nicht über die Fähigkeit und Erfahrung das selbst in die Hand zu nehmen. Ständig stand ich vor Entscheidungen, die ich nicht beurteilen konnte, fühlte mich hilflos und unsicher, war mit den Ergebnissen nicht zufrieden, konnte aber nicht sagen warum, wurde von allen möglichen Leute belabert, hörte denen auch zu, merkte aber, dass ich es anders empfand, konnte es jedoch nicht formulieren oder mitteilen. Ich nahm in einem Studio zehn oder zwölf komplette Songtracks auf, am Ende verließ mich der Mut und ich brach die Produktion ab, noch bevor ich meine Gesänge abgeliefert hatte. Ich zahlte ein kleines Vermögen (Stichwort: Lehrgeld, in diesem Fall stimmt auch Leergeld) für diese unfertige und unbrauchbare Produktionsruine und habe das Material nie wieder angefasst. Die Mitmusiker waren enttäuscht, Kollegen, Freunde, Familie, Sympathisanten waren ratlos, mieden das Thema, ich selbst empfand es als furchtbare Niederlage, als Scheitern auf ganzer Linie, hatte mich komplett übernommen und hatte das Gefühl mir fehlt irgendetwas entscheidendes, aber ich wusste nicht was. Handwerk, Erfahrung, Vorstellungskraft, whatever.

Es dauert ca. zwei Jahre bis ich mich von diesem Rückschlag erholt hatte. In der Zeit machte ich andere, unverfänglichere Aufnahmen, bei denen ich nicht die komplette Verantwortung trug. Und ganz langsam machte ich Erfahrungen, die mich mein Scheitern verstehen ließen. Ich erkannte einige wesentliche Elemente, die mir gefehlt hatten: Starke Songs, stimmige Arrangements, stilistische Vorstellung, verlässliche Mitmusiker und vor allem: Gesundes Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen und ein eiserner Wille.

Eine Band hatte ich zwar immer noch nicht, aber ein kleines musikhandwerkliches Netzwerk und ich suchte mir die besten, sympathischsten und offensten Instrumentalmusiker, derer ich habhaft werden konnte. Ich checkte meine Optionen, kontaktierte verschiedene Instrumentalisten und Studios, erklärte mein Vorhaben, hörte zu, sichtete Vorarbeiten potentieller Mitstreiter. Ich nahm Demos auf, schrieb Leadsheets, legte Klickzahlen fest, probte in verschiedenen Settings, las Bücher, sprach mit erfahrenen Kollegen, übernahm aber nicht alles, sondern verglich immer wieder mit meinen eigene Plänen, Ideen und finanziellen Möglichkeiten.

2003 ließ ich die Drumspuren zum Klick aufnehmen. Der eingeplante Bassist sagte kurzfristig ab, eine anderer sprang ein, ich kann mich erinnern, dass ich ihm Bassspuren vorsummte und er Notizen dazu machte. Ich spielte E&A-Gitarren ein, während einsamer Stunden in einem Aufnahmeraum, hermetisch abgeriegelt bei Neonlicht hinter Panzerglas. Während ich die Ergebnisse anhörte lief der Taxameter, Zeit war gutes Geld, ich musste mich schnell entscheiden, die Studiobesitzer standen zwar nicht im Weg, waren aber meist auch nicht besonders hilfreich bei den Entscheidungen, weil sie immer nur Einzelspuren hörten, die Gesamtidee in meinem Kopf konnte ich immer noch nicht kommunizieren, aber ich wusste diesmal, was ich tat. Mit jedem Instrument, das dazu kam, klang es besser, bald überschritt ich den Punkt an dem ich beim ersten Anlauf abgebrochen hatte. Dazu kamen die Instrumente Steel Guitar, Orgel und Wurlitzer, zum Teil extern in anderen Städten aufgenommen und als Files auf gebrannten CDs angeliefert, das war damals im regionalen Indiebereich noch ungewöhnlich. Auch hier musste ich immer wieder hart auswählen, mit freundlichen, diplomatischen Worten Absagen erteilen, wenn der Stil nicht getroffen wurde oder es mir aus irgendeinem anderen Grund nicht passte. Einige der Beteiligten nahmen es locker auf, andere eher nicht so. Das machte dann keinen Spaß, aber ich konnte auf individuelle Befindlichkeiten in meiner Situation keine allzu große Rücksicht nehmen.

Dann der Mix, der mich den letzten Nerv gekostet hat, immer wieder zu Hause auf verschiedenen Anlagen anhören, im Studio nachbessern, wieder anhören usw. Der Mischer Ali Lionnet war anstrengend, aber auch sehr geduldig mit mir. Er erklärte mir alles (und mehr), was ich wissen wollte (und wissen musste!), er ließ mir Zeit, räumte mir organisatorische Planungen ein, die mein übersichtliches Budget und meine familiäre Situation berücksichtigten (war gerade Vater geworden). Am Schluss waren wir beide ziemlich durch, aber das Album wurde so, wie ich es mir erhofft hatte. Nein, eigentlich wurde es sogar besser. Ich kann es heute noch anhören und bin zufrieden, das kann ich nicht von allen meinen Produktionen behaupten.

Es gibt noch viel mehr zu sagen zu „2174“, aber es ist hoffentlich rübergekommen, dass es eine entscheidende Albumproduktion für mich gewesen ist. Jede Albumproduktion (auch eine mittelmäßige oder schlechte) ist schwierig und beschäftigt einen monate-, manchmal sogar jahrelang. Ich habe nie wieder so gelitten wie bei „2174“, hätte ich es beim zweiten Anlauf wieder nicht geschafft, ich bin mir sicher, meine künstlerische Karriere wäre anders verlaufen, vielleicht wäre sie zu Ende gewesen. Ich freue mich daher die alten Songs beim Konzert am morgigen Donnerstag zu singen. Let the good times roll!

Das Konzert ist eine musikalische Rückschau, bietet aber gleichzeitig auch einen musikalischen Ausblick auf das kommende Album „Urban Chic & Country Cool“, das im Laufe des Jahres aufgenommen und in diesen Tagen fertig gestellt wurde. Es erscheint im Januar 2017 und im zweiten Teil des Konzerts spielen wir einige ausgewählte Songs unter Mitwirkung der Würzburger Sängerinnen Mandy Stöhr und Sandra Buchner.

13 Gedanken zu „Mein Album „2174“

  1. Das klang in etwa so, als hättest Du einen Ultramarathon mitlaufen wollen, wärest aber ein Couchpotato gewesen.
    Wie ging es denn Deinen Konkurrenten? Sind die auch von Null auf Hundert losgestürmt oder hatten die zuvor schon “geübt” bzw. reichlich Informatioonen eingeholt?!
    Ich weiß von einem Kumpel, dessen Vater ein Haus wirklich vollkommen alleine bauen wollte, da er zumindest Architekt war. Es war dann eine Tragödie, daß ihm die Kräfte irgendwann ausgingen und das gute Stück nur Stückwerk blieb.

    Ich meine, es gibt solche Situationen, in die Du dich reinbeissen musst und all die Unsicherheit erstmal aushalten musst..

    • @Gerhard: Es heißt ja auch immer, ein Boxer kann nur dann ein echter Champ werden, wenn er auch mal am Boden lag und eine bittere Niederlage erlitten hat. Ist nur wichtig, dass man danach wieder aufsteht und weitermacht.

      Rocky Balboa: “You, me, or nobody is gonna hit as hard as life, but it ain’t about how hard you hit, it’s about how hard you can get hit and keep moving forward, how much you can take and keep moving forward. That’s how winning is done”

    • War ein heftig guter Abend. war froh, dort gewesen zu sein.
      Jochen war natürlich “special”, ist schon ein magican 🙂
      Danke Dennis für den superben Abend…auch ein paar Kratzer taten nichts am Gesamteindruck!

  2. nachwehen des schlafentzugs ausgelöst durch den interpreten verhinderten leider den genuss des durch den selbigen hervorgebrachten abendgenuss…schnapüüüü

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert