Buch: „Ich hasse dieses Internet“ von Jarett Kobek

Jarett Kobek ist türkisch-stämmiger US-Amerikaner und lebt im Bundesstaat Kalifornien. Nach der hoch gelobten Novelle „ATTA“ veröffentlicht er im Frühjahr 2016 seinen ersten, mit Spannung erwarteten Roman „I hate the Internet“. Unter dem Titel „Ich hasse dieses Internet“ erschien er im Herbst 2016 bei S. Fischer in deutscher Übersetzung (einwandfrei: Eva Kemper). Kobek beschreibt in seinem polemischen, über weite Passagen bitter-sarkastischen Roman die problematischen Folgen der digitalen Medien. Es geht, anders als der provokative Titel vermuten lässt, nicht so sehr um das Internet per se, sondern um Kommunikation in sozialen Netzwerken, kommerzielle Nutzung und gesellschaftspolitische, soziale und kulturelle Veränderungen. Im Mittelpunkt steht dabei die fiktive Comiczeichnerin und Twitter-Celebrity Adeline und ihr illustrer Freundes- und Bekanntenkreis, der sich – typischerweise – aus mehr oder weniger erfolgreichen Künstlern, Autoren, Immigranten, Schwarzen, Schwulen, Transgenders etc zusammensetzt. Neben der Figur J. Karacehennem als Alter Ego des Autors werden immer wieder auch absolut reale Figuren der US-amerikanischen Öffentlichkeit erwähnt und deren Lebenswandel und Philosophie kritisch dargelegt. Angefangen von z.B. Thomas Jefferson und Abraham Lincoln, über Stars und Sternchen aus Hollywood, Autoren, Pop-Musiker, bis zu Politikern, Wirtschaftsbossen und anderen Machthabern. Kobek bezeichnet sein eigenes Buch bereits auf den ersten Seiten als „schlechten Roman“. Der Schreibstil ist nüchtern beschreibend, unpoetisch und absichtlich repetitiv. Der Handlungsverlauf mäandert anekdotisch dahin, man verliert bei den vielen Figuren fast den Überblick. Alles kulminiert in einer persönlichen Abschieds- bzw. Wutrede der Nebenfigur Karacehennem bei Twin Peaks fast ohne Zuhörer. Storyverlauf und Aussagen sind desillusionierend, traurig, beschämend, würdelos, erniedrigend, gnadenlos, unverzeihlich und brutal. Insgesamt schwer auszuhalten und vielleicht gerade deswegen bezeichnend für die Zeit, in der wir leben. Für außeramerikanische Leser ist es interessant das Leben der turbokapitalistisch und postfaktisch geprägten US-Amerikaner und deren Lebensumstände zu verfolgen. Immer wieder ertappt man sich dabei, Aussagen für vollkommen übertrieben zu halten, nur um im nächsten Augenblick beim Abgleich mit der Wirklichkeit (z.B. Guantanamo, Snowden-Enthüllungen, Syrienkrieg, Trumpwahl) eines Besseren belehrt zu werden.

Kobek gelingt mit seinem Roman ein bitter-sarkastisches Portrait über den Niedergang der US-amerikanischen Zivilgesellschaft in Folge der unkontrollierten Machtergreifung digitaler Netzwerke und sozialer Medien, die längst weite Bereiche der gesellschaftlichen Entwicklung begleiten, wenn nicht maßgeblich bestimmen. Für zartbesaitete Leser eventuell nicht immer leicht zu verdauen, aber natürlich ist essentiell, dass gegenwärtige Literatur sich aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Problemen stellt und sie behandelt, statt sie – wie so oft – schön-färberisch zu ignorieren.

Fazit: Ein unangenehmer und zeitgemäßer Roman über aktuelle Befindlichkeiten. Ob er „nützlich“ ist, wie im Untertitel angekündigt, sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall ist er demaskierend und aufklärend, deswegen absolut lesenswert. Den Autor sollte man im Auge behalten.

Das Buch erscheint bei Fischer, hat 364 Seiten und kostet glatte 20,00€.

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