Buch: „The Travel Episodes“ von Johannes Klaus (Hg.)

„The Travel Episodes: Neue Geschichten für Abenteurer, Glücksritter und Tagträumer“ ist eine Zusammenstellung von 27 kurzen Reisereportagen verschiedener deutscher Reisejournalisten/Blogger. Es handelt sich dabei um eine Art Fortsetzung der ersten Reise-Episoden „Geschichten von Fernweh und Heimat“ aus dem Frühjahr 2016 (ebenfalls Malik National Geographic). Im Vorfeld der Nachfolgeveröffentlichung wurde vom Verlag ein „Reisereportage-Wettbewerb“ ausgeschrieben, an dem sich nahezu 200 Autoren mit eigenen, unveröffentlichten und bebilderten Geschichten beteiligten. Bewertet wurden die Einreichungen von einer ausgewählten Jury verlagseigener Autoren u.a. Andreas Altmann. Sieben Autoren kamen mit ihren Geschichten auf eine Shortlist. Sage und schreibe eine einzige dieser Geschichten davon schaffte es letztlich ins gedruckte Buch und das kann eigentlich nur Folgendes bedeuten: Entweder waren die eingereichten Geschichten so schlecht, dass man der Öffentlichkeit nicht mehr davon zumuten konnte oder es handelte sich von Anfang an um einen Marketingtrick und der Wettbewerb war nur eine kostengünstige Methode um auf die Publikation aufmerksam zu machen und somit eine durchsichtige Farce. Wäre dbzgl. nämlich auch interessant, ob sich Altmeister Altmann und seine Jurykollegen tatsächlich die Zeit nahmen und sich mal nebenbei durch 200 Texte von irgendwelchen Nachwuchsautoren durchkämpften. Wenn es so gewesen sein sollte, Hut ab, ist aber von Außen betrachtet nur schwer vorstellbar.

Aber nun zum Buch: Die meisten der 27 Geschichten stammen von mehr oder weniger etablierten Autoren des Verlags und wurden – wie es der Titel bereits andeutet – aufgeteilt in die drei Kapitel „Für Abenteurer“, „Für Glücksritter“ und „Für Tagträumer“. Die Schauplätze sind über den ganzen Erdball verteilt, wie eine Graphik zu Beginn des Buches eindrucksvoll veranschaulicht. Man könnte meinen, dass so viele von unterschiedlichen Menschen niedergeschriebenen Erlebnisse aus allen Teilen der Welt ein Panoptikum von Erzählweisen, Aussagen, Storylines, formalem Aufbau, Wortwahl, Witz, Moral, Fotomaterialien, Fazits und Konsequenzen bereit hielten. Dem ist erstaunlicherweise nicht so. Vielleicht liegt es an der Auswahl des Herausgebers Johannes Klaus, vielleicht auch daran, dass sich im Deutschen eine Art allgemeingültiges Sprachidiom des World-Travellers entwickelt hat. Die Texte sind sich unheimlich ähnlich und wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, sie stammten zum größten Teil von verschiedenen Reisen ein und derselben Person.

Und so verlaufen die Geschichten: Sie spielen sich fern der Heimat in einer fremden Kultur ab, der Ich-Erzähler ist durchreisender Fremder, meist nicht fähig sprachlich mit Einheimischen zu kommunizieren, es wird gegessen, getrunken, geschlafen, kommt zu flüchtigen, oft nichtssagenden Begegnungen, dann geht es weiter. Irgendeine essentielle Erkenntnis wird im Text noch aus den banalsten Begebenheiten herausgepresst. Das ist bei den ersten 2-3 Mal noch okay, wenn das allgemeine Muster erkennbar wird, zunehmend unerträglicher. Jede Busfahrt, jede Unterkunft, jede Begegnung mit Einheimischen wird zum exotischen Abenteuer hochgejazzt, kein Wort davon, dass Reisen vor allem aus Rumhängen und Abwarten besteht und ständig Dinge schief gehen bzw. anders verlaufen als gedacht. Die Gewinnerin des Wettbewerbs Nadine Pungs hat diesen eloquenten, introspektiven und gleichzeitig überidealisierenden Erzählstil perfekt getroffen und passt wunderbar in die Sammlung mit den reiseberichterfahrenen Kollegen. Man hat bei den meisten den Eindruck, da war vorher schon klar, dass es interessant werden muss, dass was erlebt, aufgeschrieben und veröffentlicht werden wird. Zum großen Teil sind da Profis und Halbprofis am Werk, die seit Jahren hauptberuflich reisen und schreiben, daher wohl die Routine, die erzählerischen Automatismen, der glattgeschliffene Sprachstil. Es wird wie vorab geplant alles ohne Punkt und Komma aufgeschrieben und nachträglich mit tieferer Erkenntnis und Sinn gefüllt und sei es die Notdurft auf dem Plumpsklo. Gegenüber dem Leser wird so getan als wenn eine unglaubliche und mutige Odyssee durchlebt wurde. Reisen ist ja so bereichernd, fremde Länder und die Menschen sind alle so nett und es ist so toll wieder nachhause zu kommen und den langweiligen Daheimgebliebenen von seinen irren Abenteuern zu berichten. Alles schön und gut, aber vielleicht auch nicht. Denn diese wahnsinnige Sucht nach Einzigartigem und Unberührtem macht genau das kaputt, was sie zu finden hofft und das wird an keiner Stelle reflektiert. Wenn man diesen simplen Impuls zu Ende denkt, wären alle gutbetuchten Westler in den billigen Ländern unterwegs bis alles zu Tode kommerzialisiert und alles Eigenständige vernichtet ist.

Was fehlt sind wirkliche besondere, originelle und eigenständige Erzählungen. Die müssen dann gar nicht von einer Extremreise am anderen Ende der Welt handeln. Es darf auch mal ganz klein und fein sein. Allerdings ist es natürlich schwer bis unmöglich den Effekt einer Reise, die ja immer auch eine innere Reise sein sollte, auf 10-12 Buchseiten zu verdichten und sich dann auch noch von anderen, unmittelbar benachbarten Autoren abzusetzen. Da hat man als Leser unweigerlich den Eindruck, es ging Herausgeber und Autoren lediglich um ein höher, schneller, weiter. Gleichzeitig spürt man, dass genau das die Autoren doch gar nicht wollten.

Vielleicht sind die angenehmsten Reisenden die, die ihre Geschichte nicht niederschreiben und ausschmücken um einen Effekt bei möglichst vielen Lesern zu erzielen. Vielleicht sind die besten Reisenden die, die erleben, genießen und bewahren. Vielleicht sind die besten Reisenden die, die zu Hause bleiben und ihr kleines, unteilbares Glück finden, daheim, bei sich.

Zu Zielauswahl, Vorbereitung, Ausrüstung, Budget, Reisedauer, Lebenserwerb macht hier keiner irgendwelche Angaben, ganz so als wären das peinliche und unwesentliche Details, dabei hätte genau solche nüchterne Sachinformation sehr interessant sein können, eventuell sogar ganz nebenbei persönliche Umstände beleuchten können. Und schließlich: Warum ein deutsches Buch von deutschen Autoren einen englischen Titel haben muss bleibt unklar. Klingt bereits nach dem zweiten Band wie ein internationales Franchaiseunternehmen. Vielleicht war das die Absicht.

Das Buch hat 352 Seiten, erscheint bei Malik National Geographic und kostet 15 €.

2 Gedanken zu „Buch: „The Travel Episodes“ von Johannes Klaus (Hg.)

  1. Reisen sind für mich etwas ganz Wichtiges.
    Eine ganz intensive Art arbeitsfreie Tage zu verbringen. Egal, ob es eine mehrtägige Radtour ist oder eine Fernreise. Komfort, bequeme oder gar luxuriöse Unterkünfte interessieren mich nicht. Mich treibt an, Neues zu etndecken, Vernetzungen zu Bekanntem zu erkennen, Zeit zu haben, das Neue und Fremde mit allen Sinnen zu erleben.
    Was mich dabei begeistert und unendlich freut— hier einige kleine Beispiele:
    Bei einem Museumsbesuch im Metropolitan Museum of Arts in NYC stoße ich in einer Sonderaustellung mit dem Titel: “Rooms With Views” auf ein Bild, das mir unglaublich vertraut war: es hing als billiger und längst verblasster Kunstdruck in schlichtem Biedermeier-Rahmen im Wohnzimmer meiner Großeltern, in meiner alten Heimat, 1200 Flugkilometer von meinem aktuellen Wohnort Würzburg entfernt. Da war es nun plötzlich vor mir, das Original, fast im gleichen Format wie die Reproduktion von daheim. Moritz von Schwindt: “Morgenstunde”. Ich sehe das Zimmer ganz deutlich vor mir. Der innere Blick geht durch das geöffnete Fenster nach draußen. Es ist Frühsommer, Es duftet ganz schwach nach Akazienblüten und ich kann den Bach vor dem Haus rauschen hören. Alles so weit weg und plötzlich so nah. Ohne Vorankündigung. Es dauert eine Weile, bis ich wieder in der Gegenwart angekommen bin. Ich lese: Leihgabe der Galerie Schack, München. Die Sonderausstellung im Metropolitain Museum läuft noch 2 Wochen. Danach werde ich dort, in München, dieses für mich spezielle “Stück Heimat” wieder “besuchen”.
    So persönlich ist Reisen für mich. Oft. Immer häufiger.
    Das kann der würzige Duft eines Weinbergs der kurz vor der Ernte stehenden Sorte “Americano” Im Tessin sein, durch den ich mit dem Rad unterwegs bin. Oder zum Teil überdimensionale Skulpturen von Jaume Plensa, die mir auf den letzten Reisen immer wieder begegnen. In Bordeaux, in Barcelona, in Genf oder im Madison Park, Manhattan.
    Wenn ich reise, sammele ich Puzzle-Teile. Ich bin immer dafür offen, welche zu finden. Überall sind welche verstreut. Was für eine Freude, sie zu finden und vor allem, wenn sie passen!

    • @Dieter: Willkommen auf diesem Blog und herzlichen Dank für den substanziellen Beitrag. Muss beim ersten Mal erst freigeschaltet werden, aber jetzt wird gleich durchgewunken.
      Ich empfinde es ganz ähnlich, die Kleinigkeiten, die man beim Reisen erlebt, sind die Essenz und fügen sich im Rückblick manchmal wunderbar zusammen. Die Geschichte mit dem Bild im Museum hat mir gut gefallen und beschreibt das sehr passend. Es sind mitunter sehr persönliche, fast schon intime Momente, die so entstehen können.

      Beim Urgroßvater Ludwig Hermann Schütze lebte zur vorletzten Jahrhundertwende über eine Jahrzehnt lang als Handlungsvertreter in New York. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland kurz vor dem 1. Weltkrieg erzählte er immer wieder, dass er noch einmal in seinem Leben über die Brooklyn Bridge laufen wolle. Sein Sohn, mein Opa, der 1904 in NY geboren wurde, erzählte von derselben Sehnsucht und ich erfuhr davon von meinem Vater. 2009 war ich dann selbst dort, fuhr mit der U-Bahn zum Brückenkopf, betrat die Brücke und lief ganz langsam und genussvoll bei strahlendem Sonnenschein auf die andere Seite nach Manhattan. Es war ein ganz wunderschöner Augenblick. Etwas später habe ich die genauen Einreisedaten meines Urgroßvaters in der Datensammlung auf Ellis Island gefunden (1892, 1896, 1910).

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