Buch: „Hinter den Türen warten die Gespenster“ von Florian Huber

Florian Huber hat Geschichte und Volkswirtschaft studiert und ist Autor und Regisseur von Doku-Dramen, Dokumentarfilmen und Reportagen für ARD, ZDF, Arte und andere Sender. 2015 legte er mit „Kind, versprich mir, dass du dich erschießt “ ein erschütterndes Buch über den Untergang der kleinen Leute 1945 vor, das in Form von Einzelschicksalen von der Selbstmordwelle erzählt , die ab den letzten Kriegsmonaten von Osten aus durch Deutschland brandete und tausende Frauen, Männer und Kinder mit sich riss. Aber Geschichte bleibt nicht stehen, sie macht nicht Halt, sondern geht unerbitterlich weiter.

Im März 2017 erscheint nun „Hinter den Türen warten die Gespenster“, in dem Huber die exemplarische Psychogramme deutscher Familien aus Trümmerzeit, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder darlegt. Er berichtet aus der Welt der zurückgebliebenen Frauen, der zurückkehrenden Männer und der hilflos dazwischen stehenden Kinder. Seiner im zuvor erschienen Buch etablierten Erzählweise bleibt er dabei treu und erzählt abwechselnd von den Einzelschicksalen mehrerer Familien, die durch (Auto-)Biographien, Tagebuchaufzeichnungen und Briefe nachvollziehbar dokumentiert sind. Huber zitiert immer wieder aus diesen Originaltexten und verzeichnet die entsprechenden Quellen einwandfrei, geradezu akribisch und mit wissenschaftlichem Anspruch. Auswahl und Anordnung dieser Zitate, aber auch seine eigenen Ein- und Überleitungen, sowie die zusammenfassenden Erklärungen und Kommentierungen sind sachlich und korrekt und dabei, dem Thema angemessen feinfühlig und respektvoll. Es gelingt ihm beim Leser Verständnis für alle drei, sich zum Teil widersprechende Blickwinkel hervorzurufen (Frauen, Männer, Kinder).

Die Männer waren im Krieg, sind tot oder in Gefangenschaft, Frauen deswegen meist jahrelang allein mit ihren existentiellen Sorgen und Nöten um Unterkunft und Versorgung von Kindern und anderen hilfsbedürftigen Verwandten. Sie waren unterversorgt, ratlos und überfordert, mussten sich irgendwie durchkämpfen, bildeten provisorische Notgemeinschaften. Die Männer dagegen waren umgekommen oder kamen irgendwann unterernährt, krank, gebrochen und schwer traumatisiert von Krieg oder Gefangenschaft nach Hause, wo sie größtenteils von den eigenen Verwandten und Kindern nicht erkannt wurden. Die Frauen hatten längst gelernt ohne sie klarzukommen, ihre Männer waren keine Hilfe, sondern eine zusätzliche Last, sie wollten stark sein, waren aber schwach, igelten sich ein und taten sich schwer einen Platz in der Zivilgesellschaft der Nachkriegzeit zu finden. Der Krieg war zu Ende, aber der Kampf ging auf anderen Schlachtfeldern weiter. Die Kinder standen dazwischen, während die Eltern offene und verdeckte Konflikte austrugen, ihre Väter waren fremde, seltsame Männer, die wie aus dem Nichts erschienen waren und die etablierten familiären Strukturen umkippten. Die Frauen sollten ihre Berufe aufgeben, wieder zurück an den Herd, die Kinder sollten gehorchen, aber in den seltensten Fällen funktionierte das alte Modell. Die Männer, die sich als Ernährer verstanden, aber oftmals, wenn überhaupt, nur einen kleinen Beitrag leisten konnten, blieben frustriert und verschwiegen, die Frauen waren unglücklich und wandten sich von ihrem Partner ab, die Kindern waren uninformiert und ratlos und blieben sich weitestgehend selbst überlassen.

Huber schreibt über diese für Deutschland so prägende Zeit sorgsam, detailreich und dem Thema angemessen. Viele der gründlich recherchierten und sachlich vorgetragenen Geschehnisse erscheinen erstmal lückenhaft und unklar, werden aber im Verlauf des Buches ergänzt, zum größten Teil aufgeklärt und ergeben so ein vollständiges Bild, zumindest so weit das möglich ist. Huber leistet mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des gesellschaftlichen Zustands in der Nachkriegszeit. Nahezu jede deutsche Familie ist in irgendeiner Weise in die Geschehnisse des zweiten Weltkriegs verwickelt, die persönlichen Erlebnisse, Erfahrungen und Verluste betrafen jeden und die Folgen wirken bis heute nach.

Fazit: Es ist aufschlussreich und ergreifend wie das Buch ein Bild des psychologischen Zustands im Nachkriegsdeutschland offenbart. Über Nazizeit und herausragende Schicksale wurde und wird viel berichtet, was die Veränderungen und Zustände für gewöhnliche Familien und Menschen bedeuteten, wird davon gerne mal überlagert, das liegt zum Teil auch daran, dass viele Betroffenen Kriegs- und Trümmerzeit gerne ausblendeten und die Familiengeschichten erst mit Wiederaufbau und Wirtschaftwunderzeit wiedereinsetzen.

Und schließlich: Vielleicht ist das Buch ein Anlass die eigene Familiengeschichte dieser außergewöhnlichen Zeit und ihre Bedeutung für den Verlauf der eigenen Biographie näher zu betrachten. Machen Sie sich bereit für einige neue Erkenntnisse und Bewertungen!

Das gebundene Buch erscheint im Berlin Verlag, hat 352 Seiten und kostet 22,00 Euro.

6 Gedanken zu „Buch: „Hinter den Türen warten die Gespenster“ von Florian Huber

  1. Dieses Buch fiel mir in “Andruck” des DLF letzte Woche auf.
    Das Leid und Elend der Nachriegsjahre kann und sollte das Buch denen vermitteln, die kaum Berührung dazu haben (können), den jüngeren Generationen.

    Mein Vater war mindestens 3x dreimal akut in Lebensgefahr. Daß er von diesen Gefahren immer wieder erzählte, hatte freilich seinen Grund.
    Er kam auch schwer krank nach Haus, hatte allerdings noch keine Frau.
    Ich hatte in letzter Zeit einiges Geschichtliche zu Krieg sowie Verfolgung und Vertreibung gelesen und zögere sehr, mich weiter damit zu befassen. Es ist so demoralisierend! Das Grauen muß stellenweise so gegenwärtig gewesen sein, daß es garnicht mehr vorstellbar ist.

  2. @Gerhard: Das Vorgängerbuch ist heftig. dieses hier ergreifend, aber nicht demoralisierend. Ich habe nach der Lektüre mehr Verständnis für meine Eltern und Großeltern. Das ist doch ein sehr positiver Effekt, oder?

    Du sagtest einmal man muss sich den Traumata und den daraus resultierenden Ängsten stellen. Auch den kollektiven, wenn ich das ergänzen darf. Hier ist die Gelegenheit.

  3. ich glaube das kann und will sich keiner vorstellen, was da so alles passiert ist; vieles bleibt im dunkeln und lebt in form weitergebener traumata sicher weiter in vielen familien, wie leider schon immer in der menschheitsgeschichte – sind wir also getriebene in einer gewaltspirale? wenn ich mir die momentanen umgangsformen in politik und wirtschaft so ansehe erkenne ich wenig bis gar kein entwicklungspotential in richtung humanistischer denk- und handlungsweise, also doch eher demoralisierend.

    • Wer da, angesichts der aktuellen Gewalt und all der numinosen Beispiele in der Geschichte von einem Lernprozess träumt, der…träumt!
      @Bernhard, das mit den weitergegebenen Traumata, da habe ich was geschrieben, das kommt demnächst raus.
      @Dennis: Ich meinte damals in unserem wohl persönlichen Gespräch eher Sachen aus der eigenen Kindheit, die man anschauen sollte (wenn man Zugang hat dazu bekommt, was nicht leicht ist).

      Ne, ich habe das letzte Jahr soviel gelesen, es…reicht momentan irgendwie. Ich pflichte Dir bei, Dennis, daß man lernen kann, die Vorgängergeneration besser zu verstehen. Aber das hatte ich schon zum Teil. Mein Vater erlebte furiose und nackte Panik nicht nur einmal. Er sah dem Tod mehrmals in die Augen und um ihn rum waren genug Opfer.

      Dennoch HABEN wir nichts anderes, als die Vergangenheit zu studieren und vielleicht, vielleicht dazu beizutragen, daß es nicht so schnell wieder zu ähnlichen Szenen kommt. Das dürfte das Einzige sein: Zu mahnen, auf etwas hinzuweisen, zu erinnern.

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