Interview mit Dieter Kreidler, Teil 2

F: Seit den 1980er Jahren haben sich Spielniveau und Repertoire der klassischen Gitarre rasant entwickelt. Wie haben sie diese Entwicklung empfunden?

A.: Für mich als einer der ersten „akademisch“ agierenden Gitarrenprofessoren ist es ein Glücksgefühl, wie sich diese ganze „Gitarren Szene“ entfaltet hat. Hinsichtlich der ungebrochenen Begeisterung von Kindern bis zu Senioren für die Gitarre, der Literaturvielfalt, einer erfreulichen Hinwendung zum Ensemblespiel, der öffentlichen Wahrnehmung durch innovative Wettbewerbe, öffentlich geförderter Musikprojekte und der damit einhergehenden stilistisch universalen Anwendungsbreite der Gitarre, zählt heute die Gitarre zu den beliebtesten Instrumenten weltweit!

F: In den letzten Jahren sind einige Lehrwerke für klassische Gitarre erschienen, die nicht mit einstimmigem Spiel in Apoyando beginnen, sondern als erstes den arpeggioartigen Tirando-Anschlag entwickeln. Haben Sie dazu eine Meinung?

Es ist eine Binsenweisheit, das ein heute ausgebildeter Gitarrist beide Anschlagsarten beherrschen muss, wenn er alle Register einer farbenreichen und dynamisch überzeugenden Interpretation ziehen will. Um das zu erreichen, sind nach meiner Erfahrung die haltungsbezogenen Unwägbarkeiten beim frühen Beginn mit dem „freien Anschlag“ (tirando) größer als beim Spielen „mit Anlegen“ (apoyando). Insbesondere für Kinder und Jugendliche stellt sich der Bewegungs- und Anschlagsvorgang beim Apoyandospiel kontrollierter dar, der Ton ist gewissermaßen „körperhaft“ rund und das kurze Verweilen an der tieferliegenden Nachbarsaite gibt dem Spieler einen guten Halt oder Stütze (bei Teuchert „Stützschlag“). Haben die Lehrer das Nach-oder miteinander beider Spielarten unterrichtsmethodisch im Griff und ist eine ständige Kontrolle der Anschlagswinkel (auch im Gruppenunterricht) möglich, führt selbstverständlich auch ein „freier Anschlag“ zum gewünschten Ziel.
Statistisch spielt man allerdings später beim Solo-und Akkordspiel wesentlich mehr im freien Anschlag. Wird aber – bedingt durch die kompositorische Vorgabe – eine liedhafte Phrasierung (oder eine plötzlich auftauchende Melodiepassage) gefordert, führt der Apoyandoanschlag in der Regel eher zu einem klanglich überzeugenden „cantabile“. Kommt das Apoyandospiel jedoch nicht von Anfang an konsequent im Unterricht zur Anwendung, gibt es später keinen inneren überzeugenden Impuls und Drang, diese Technik situativ und damit musikalisch kreativ – bisweilen auch spontan- abzurufen. Die schnelle Umstellung von Tirando auf Appyando stellt sich dann für den Spieler als zu risikoreich dar. Die Folge ist der Verzicht auf die Umstellung, das Spiel bleibt – klangfarbenarm.
Fazit: Erst durch eine fein ausbalancierte Beherrschung und Dosierung beider Anschlagsarten wird ein klassischer und farbenreicher Gitarrenton erreicht.
So handelt es sich bei der Bewertung beider Anschlagsarten im Basisunterricht dem Grunde nach um ein „Haltungsproblem“.

F: Vor einigen Jahren haben sie mit der dreibändigen Reihe „Gitarre spielen mit Spaß und Fantasie“ (Schott) ein neues Lehrwerk vorgelegt. Die alte, mittlerweile 40 Jahre alte „Gitarrenschule“ erscheint weiterhin. Was hat sie zu der neuen Veröffentlichung bewogen und was sind die konzeptuellen Neuerungen?

A.: Als guter Beobachter des pädagogischen Alltags konnte ich feststellen, dass sich aufgrund der aktuellen Diskussion über die schulischen Rahmenbedingungen (G9/G8), der oft prekären Anstellungsverträge für Honorarlehrer und dem veränderten Lernverhalten von Schülern nur eine an diese Realität angepasste „kleinschrittige Instrumentaldidaktik in der Kleingruppe“ eine Chance hat, die Schüler zu „erreichen“.
Um aber neben dem Einzelunterricht auch im Gruppenunterricht Erfolg zu haben, müssen die Lernschritte in lustbetonter Atmosphäre angeboten werden und es sollten allzu große „Sprünge“ vermieden werden. Hier bietet das neue Lehrwerk viele Möglichkeiten zu einem lebendigen Lerntransfer mit Spaß und Fantasie im Unterricht. So sind alle kleinen Stücke und Arrangements für 3 oder 4 Gitarren bereits für den ersten Beginn mit dem Anschlag von leeren (ungegriffenen) Saiten so angelegt, dass jeder Spieler (durch Stimmtausch) jede Stimme spielen kann. Das motiviert auch spieltechnisch schwache Schüler durch das gemeinsame Musiziererlebnis und übt das Lesen in Akkoladen.

Abgesehen von einigen neuen „didaktischen Übergängen“ und viel mehr Spielliteratur, orientieren sich die 3 neuen Bände der neuen Gitarrenschule „Gitarre spielen mit Spaß und Fantasie“ grundsätzlich an der alten Schule aus dem Jahre 1977. Für den Lernstoff der alten Schule (Band 1) benötigte man früher im Durchschnitt 1 bis 1 ½ Jahre, bei dem erweiterten, didaktisch gestreckten Konzept in 3 Bänden setze ich (wegen der kleinen Lernschritte) je Band ca.1 Jahr an. Für Lehrer, die nach wie vor mit der alten „Kreidler-Schule“ arbeiten bzw. sie bei Schülern anwenden, bei denen bereits das „abstrahierende Denken“ weiter fortgeschritten ist, wird die alte Ausgabe weiter angeboten.

F: Für Nostalgiker erschien zu Jahresbeginn ihr bewährter Klassiker „Beatles-Songs & Traditionals“ (Schott) als leicht überarbeitetes Re-Print. Sind darüber hinaus noch weitere (Wieder-)-Veröffentlichungen geplant?

A.: Mir macht die Arbeit nach wie vor viel Spaß und so bin ich gern bereit, mich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen. Ich habe noch einiges in der Pipeline. Lassen Sie sich überraschen!

Herr Prof. Kreidler, herzlichen Dank für dieses Interview.

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