Buch: „Paul McCartney“ von Philip Norman

Philip Norman ist britischer Journalist und Autor. Seine früh erschienene Beatles-Biographie „Shout!“ (1981) ist aufgrund persönlichen Tendenzen (pro-Lennon, anit-Paul) in Kennerkreisen äußerst umstritten. Es folgten in kurzen Abständen weitere Biographien britischer Musiker: „John Lennon“ (1990), „Elton John“ (1991) etc. Nun also sein Beitrag zur McCartney-Forschung, die ja mit unzähligen Werken und einer Autobiographie bereits recht umfangreich ist.

Paul McCartney stand bei der Recherche zum Buch nicht als Ansprechpartner zur Verfügung, andererseits verhinderte er aber auch nicht die Befragung von Verwandtschaft und Kollegen. Norman hat zur Recherche viele Interviews geführt, greift aber, davon kann man ausgehen, auch tief ins eigene Archiv, denn es gibt ja offensichtliche thematische Überschneidungen zu früheren Arbeiten. Am Ende bedankt er sich zwar brav bei einigen Informanten, Quellen irgendwelcher Art sind aber erstaunlicherweise nicht angegeben.

Ebenfalls überraschend ist, dass der Autor bei der Einordnung der Geschehnisse diesmal zu gänzlichen anderen, teilweise gar gegenteiligen Beurteilungen kommt, als bei seinen vorangegangenen Werken. Immer wieder hat man den Eindruck, dass er sein hartes, oft genug erkennbar parteiisches Urteil von zuvor mit diesem Werk relativieren bzw. revidieren will. Trotzdem unterlaufen ihm auch diesmal wieder viele Einschätzungen, die einen entscheidenden Tick zu weit gehen und ihm einfach nicht zustehen. Das betrifft meist die sehr persönliche Ebene, wo er McCartney und seinem engeren Umfeld Gedankengänge und Motive unterstellt, die er als Außenstehender gar nicht kennen kann. Dieser überhebliche und selbstgerechte Unterton fällt bei der Lektüre immer wieder unangenehm auf.

Zur wirklich schweren Hypothek werden Umfang und Ausmaß des Buches. Bei aller Liebe zum Detail sind knapp 1000 Seiten schon deutlich übertrieben. Wann McCartney was gefrühstückt hat oder mit wem er wo ausgegangen ist, dürfte nur für sehr wenige, Hardcore-Fans interessant sein. Das wäre etwas für eine präzise Chronik, statt für eine Biographie, da sollte Nebensächliches von Wesentlichem getrennt werden. Dagegen äußert er sich kaum zu musikalischen Entwicklungen oder produktionstechnischen Feinheiten. Der Leser muss sich damit zufrieden geben zu erfahren, welche Besetzung eingespielt hat und welche Chartplatzierung die Veröffentlichungen erreichten.

Die Geschichte mit den Beatles ist ca. zur Mitte des Buches auserzählt. Danach kommen, Linda Eastman, die Wings, Solo-Projekte, klassische Kompositionen, Familiengeschichte und last but not least die unselige Liaison mit der Skandalnudel und notorischen Lügnerin Heather Mills. Gut, gehört auch zur Geschichte, hätte man aber kürzer abhandeln können und die Rechenschaft, woher Norman in diesem Zusammenhang die genauen Zahlen über Privatvermögen, Immobilienbesitz und Anwaltskosten hat, bleibt er leider auch schuldig.

Am Ende des Buches kommt es dann doch noch zu einer Begegnung zwischen dem Autor und dem Beschriebenen. Beim Meet & Greet am Rande eines Konzerts wechseln die beiden ein paar Worte. McCartney erscheint verständlicherweise nur oberflächlich interessiert. Norman erzählt ihm davon, dass er im Zuge seiner Recherche herausgefunden habe, dass der verschollene, erste Höfner-Bass (der sog. Cavern-Bass) in Kanada aufgetaucht sei, im weiteren Verlauf des Textes äußert er sich dazu dann aber nicht mehr. Eine kurze Websuche ergibt, dass das wohl eine Falschmeldung ist.

Fazit: Man hat als Leser den Eindruck, dass Philip Norman mit diesem umfangreichen Werk versucht eine Schuld zu begleichen und seine eigenen Aussagen aus früheren Büchern zu korrigieren. Das gelingt ihm leider nur zum Teil und knapp 1000 Seiten verlangen dem geneigten Leser einfach zuviel Geduld ab, um dieser biographischen Selbsttherapie zu folgen. Noch dazu kommt Norman nicht aus seiner Haut, er ist hin und hergerissen zwischen intellektueller Ablehnung und kindlicher Bewunderung. Wirklich souverän geht aus dieser Schrift vor allem einer hervor: Paul McCartney selbst, der trotz seiner erstaunlichen Lebensgeschichte und Verdienste ein höflicher, freundlicher und positiver Mensch geblieben ist. Wenn man diese charakterliche Seite näher kennenlernen will, empfiehlt sich allerdings die Autobiographie „Many Years from now“ (1998), die McCartney in enger Zusammenarbeit mit Barry Miles verfasst hat, für Fans am besten gleich auf Englisch.

Das gebundene Buch erscheint bei Piper, enthält viele, größtenteils farbige Abbildungen, hat 974 Seiten und kostet 32 Euro.

4 Gedanken zu „Buch: „Paul McCartney“ von Philip Norman

  1. ok interessiert mich nicht so wirklich, aber du machst mich neugierig: nenn doch mal ein Beispiel, für Gedankengänge, die er als Aussenstehender nicht beurteilen kann!
    möchte deshalb keine 1000 boring seiten lesen müssen… 🙁

    • @Bernhard: Z.B was McCartney gefühlt hat, als er erfahren hat, dass Lennon erschossen wurde oder was Lennon mit seiner Beziehung zu Yoko kompensiert hat oder wie die Beziehung zwischen McCartney und Yoko so läuft oder was er in irgendwelchen Situationen wörtlich gesagt haben soll.

      • @Dennis hm ok aber so wie ich den einschätze könnte er als Stalker und hardcore Besserwisser schon eingies davon mitbekommen haben und es tatsächlich besser wissen als der Paule, denn der is ja total subjektiv in seiner Wahrnehmung…höhö

        • @Bernhard: Ja, das trifft’s ziemlich gut. Ist auch eine reichlich späte Wiedergutmachung, Paul sieht aber gnädig darüber hinweg. Ihm kann’s auch egal sein.

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