kulturgut (07/2011)
Amerikanische Toleranzkultur...
...und deutsches Singer/Songwriter-Wesen: Der Würzburger Musiker Dennis Schütze auf wissenschaftlicher Spurensuche
WÜRZBURG. Songwriter, Instrumentalpädagoge, Gitarrenriffforscher, Amerikanist, Talkmaster
Die äußerst vielfältigen Interessen von Dennis Schütze lassen sich so grade eben auf einen Nenner bringen: Sie wurzeln in der lokalen Szene und berühren dennoch oft die US-amerikanische Popularkultur. Dabei benimmt sich der Sänger und Gitarrist im Alltag und auf der Bühne ganz und gar unstilisiert, jedenfalls nicht ausgestellt amerikanophil. Falls es wirklich deutsch wäre, eine Sache um ihrer selbst Willen zu tun, so hätten wir hier einen geeigneten Ansatz.
Vor allem hat die Musik das ganze Leben des 38-Jährigen geprägt, denn er ist Musiker, Musikpädagoge und Musikologe. Und er ist Würzburger Kulturförderpreisträger von 2007. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb über ihn:
um die Zukunft des Rock'n'Roll braucht man nicht zu bangen; es gibt hoffnungsvollen Nachwuchs. Als Musiker etablierte er sich in zahlreichen Formationen, allen voran mit seiner eigenen Band. Dabei steht er nicht nur in der Tradition der Fifties und der Singer/Songwriter. Dem ersten profilierten E-Solo-Gitarristen überhaupt, Charlie Christian aus Benny Goodmans Combo, widmete er ein Programm. Und er spielt improvisierte Ambient-Musik in künstlerischer Kooperation mit Tänzern und Dichtern. Von Musik handelt auch seine Talkshow My Favourite Tracks. Hierzu lädt Schütze Gäste in einen Club oder ein Theater, spielt deren zehn Lieblingssongs vor, lässt sie erzählen und diskutiert mit ihnen darüber.
Als Diplom-Musiklehrer - er bevorzugt den Terminus Instrumentalpädagoge - unterrichtet er akustische und elektrische Gitarre, Mandoline, Banjo und Ukulele: Zupfinstrumentenmusik von Barock bis Rock, Liedbegleitung mit Gesang und Einführung in die Improvisation. Und dann ist Schütze auch gelernter Musikwissenschaftler, der sich in den letzten Jahren schwerpunktmäßig mit der E-Gitarre im frühen Rock'n'Roll beschäftigt. Seine Dissertation handelt genau von diesem Thema. Im vergangenen Jahr brachte Schütze drei große Projekte auf den Weg. Sein Studioalbum B-Sides & Rarities erschien im Juni, den schriftlichen Teil seiner Doktorarbeit schloss er im September ab. Die Veröffentlichung der Live-Aufnahme vom Würzburger Umsonst & Draußen-Festival 2010 schloss den Reigen zu Jahresende.
Was man aus USA lernen kann
Eigene Musik schreibt und spielt er seit frühester Jugend. Aber in den letzten zwei, drei Jahren hat sich die Dennis-Schütze-Band mit einem festen Kern von Musikern so richtig gut entwickelt. Mit der Gruppe spielt er ausschließlich selbstverfasste Singer/Songwriter-Musik, zuletzt dokumentiert auf der zu Jahresende erschienenen CD live@u&d 2010. Diese Stilrichtung ist für ihn die Poesie des 20. Jahrhunderts, und zwar eine, die die Leute erreicht. Was in Deutschland unterschätzt, in den USA dagegen ganz selbstverständlich anerkannt werde: Dass das Songwriting ein Handwerk ist und im Idealfall zugleich ganz große Kunst. Mit den Country- und Rock'n'Roll-Platten seines Vaters wuchs er auf, fühlt sich in diesem Genre heute sehr zu Hause. Und schätzt die Toleranz der US-Amerikaner: Dieser Grundsatz &Mac226;live and let live' schlägt sich in der amerikanischen Kultur intensiv nieder. Mir ist da nie diese kulturelle Hochnäsigkeit begegnet, wie man sie hier an allen Ecken findet. Amerikanische Gegenbeispiele studierte er in allen US-Musikzentren zwischen Kalifornien, Tennessee und New York City. Nur Chicago und New Orleans fehlen noch in der Sammlung seiner Bildungsreisen.
Klare Trennung zwischen den Projekten
In der Dennis-Schütze-Band, deren Trio-Variante jeden ersten Montag im Monat im Monsieur Clochard in der Neubaustraße auftritt, konzentriert er sich mittlerweile auf das Song-Performing und die Rhythmusgitarre. Er genießt es, dass er sich ganz auf den routinierten Sologitarristen Jochen Volpert verlassen kann. Von dem eigenen Repertoire trennt er scharf die Diner- und Tanzmusik-Formation Die Musikstudenten. Die ist ihm allerdings genauso wichtig: Wir werden ja immer für schöne Anlässe gebucht, auf die ich mich selbst freue, erzählt er mit warmer Stimme. Ich musiziere gerne für ein tanzfreudiges Publikum. Auch für das Spektrum zwischen alten Swingnummern, Easy Listening und Rock'n'Roll gilt: Gute Unterhaltung muss gut gemacht sein. Die Messlatte legt Schütze hoch, orientiert sich an Showkünstlern wie Dean Martin, Paul Anka und Bobby Darin. Deshalb sind Musikstudenten-CDs schon längst nicht mehr bloße Werbeplatten und Fetensouvenirs, sondern aufwändige Produktionen. Dass der Posaunen-Professor Richard Roblee zumindest im Studio dabei war, erfüllt den Musikanten auf bescheidene Weise mit Stolz.
Gibt es eine Würzburger Szene?
Im Spätsommer 2011 erscheint die dritte Musikstudenten-Scheibe. Kurz danach beginnt auch die Talkshow-Reihe wieder. Das kostet einiges an Vorbereitungszeit, und manchmal sitzen nur zwei Handvoll Leute im Publikum. Für Dennis Schütze lohnt sich der Aufwand, weil ihn seine Gäste menschlich berühren, vor allem, wenn sie erzählen, wie sich Musikstücke mit ihrer Biographie verweben. Dabei hatte er anfangs durchaus kulturpolitische Ziele: My Favourite Tracks sollte das Interesse derjenigen Würzburger aneinander wecken, die in der Kultur unterwegs sind. Schütze stellte sich vor, dass wir gemeinsam die so genannte Szene erforschen. Der Initiator steht heute freilich vor der Erkenntnis, dass es in Würzburg wohl überhaupt keine Szene gibt. Das sind mehr so abgeschlossene Grüppchen. Zur Belebung der lokalen Geschehnisse trägt sein Talk-Engagement dennoch bei, war mit ein Grund für die Verleihung des Kulturförderpreises. Wobei Schütze - wenn er auch mitunter an den Würzburger Verhältnissen zweifeln, ja verzweifeln kann - sich empfindet als lokalen Musiker. Ich muss nicht hoch hinaus. Es hat viele schöne Seiten, hier tätig zu sein. Eine solche Versöhnlichkeit wird auch dadurch begünstigt es, dass Dennis Schütze sehr viele Berufe hat. Zu den Engagements als Unterhaltungsmusiker und dem Gitarrenstundengeben gesellten sich in den letzten Jahren Lehraufträge an der Uni und Gastvorträge auf Kongressen - bei denen er sich zum Erstaunen des professoralen Publikums gern die Gitarre umhängt und live einige Notenbeispiele einspielt.
Nichts Triviales dabei
Und was hat es nun mit der Doktorarbeit über die Rock'n'Roll-Gitarre auf sich? Es lohnt sich, Pop- und Rockmusik ernst zu nehmen und diese Musik einer Analyse zu unterziehen, ist sich Schütze sicher. Der Titel seiner Dissertation lautet Spieltraditionen, Personalstile und Signature-Licks der Rock and Roll-Gitarre. Auf der Suche nach den stilprägendsten und einflussreichsten Instrumentalparts einer Ära. Warum gerade dieses Thema? Die große Geschichte der E-Gitarre hat ihren Zenit mittlerweile überschritten, sie hatte ihre Zeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jetzt haben wir langsam die nötige Distanz zur Analyse, begründet der Gitarrist seine Wahl, und: Am amerikanischen Rock'n'Roll beeindruckt mich diese urgewaltige Kraft, Energie und Frische! Seine Arbeit ging dagegen sehr methodenbewusst vor. Ganz viele Musikgeschichten drucken keine einzige Note ab, legen kein Hörbeispiel bei, wundert Schütze sich kritisch. Auf drei längeren Recherchereisen in den USA (2004, 2007, 2011) führte er Interviews, besuchte Konzerte ebenso wie Bibliotheken. Vor allem transkribierte er 50 Musikbelege ganz genau - unter Einbeziehung von Sound und Equipment. Das Ergebnis macht Zusammenhänge, ein erklärbares Muster von musikalischen Motiven, sichtbar. Solche Analysen sind in Deutschland sehr selten. Die musikwissenschaftliche Beschäftigung mit Pop- und Rockmusik ist in musikakademischen Kreise als zu trivial nahezu verpönt, obwohl das offiziell natürlich niemand zugeben würde. Dabei hält Schütze immer wieder Vorträge auf musikwissenschaftlichen Foren und Kongressen. In Deutschland fehlt zum Beispiel eine Professur zur Geschichte der populären Musik. Wie so vieles, was für die sogenannte klassische Musik als selbstverständlich gilt, mahnt Schütze: Als engagierter Musikforschender sollte man natürlich für alle Arten von Musik offen sein. Aber gerade die Beschäftigung mit der Rock- und Popmusik des 20. Jahrhunderts könnte aufgrund ihres hohen Bekanntheitsgrades der deutschen Musikwissenschaft wichtige neue Impulse geben und die Disziplin von ihrem belächelten Nischendasein befreien. Ich verstehe das als eine große Chance und möchte mit meiner Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass dieser Forschungsrichtung größeres Gewicht zugemessen wird. Und schließt mit den Worten: Das 20. Jahrhundert ist vorbei, man kann es nun musikhistorisch aufbereiten. Es gibt viel zu entdecken!
Gunther Schunk & Joachim Fildhaut