Buch: „Highway 61 Revisited“ von Mark Polizzotti

polizzotti_highway_grIm August 1965 erschien Bob Dylans Album „Highway 61 Revisited“. Es ist ein besonderes Album im Gesamtwerk dieses großen amerikanischen Songschreibers, denn es markiert das Ende der anfänglich stark von akustischen Folktraditionen geprägten Karrierephase und seine – zur damaligen Zeit – als radikal empfundene Hinwendung zu Instrumentierungen, die damals eher dem Pop und Rock zugerechnet wurden (E-Gitarre, E-Bass, Orgel, Drumset). Zusätzlich fielen auch die Songtexte bei „Highway 61 Revisited“ deutlich weniger politisch, sozial- und gesellschaftskritisch aus, wurden stattdessen literarisch, frei-assoziativ, teilweise auch kryptisch-kodiert. Bei öffentlichen Auftritten und Interviews verweigerte sich Dylan, gab seltsame, orakelhafte, oft auch widersprüchliche oder unsinnige Antworten. All das zusammen löste unter seinen Anhängern heftige Kontroversen aus. Freunde und Künstlerkollegen fühlten sich verraten, Sympathisanten der ersten Jahre warfen ihm Illoyalität und Kommerzstreben vor, viele wandten sich gegen ihn, doch erst durch diesen Schritt stieg Dylan zur unangefochtenen, amerikanischen Songwriterikone auf, die er bis heute ist.

Zum 50. Jubiläum des Albums erscheint beim deutschen Verlag Tiamat nun ein Buch zum Album. Der Text stammt von dem Amerikaner Mark Polizzotti, der sich bisher als Übersetzer französischer Autoren und Herausgeber einen Namen gemacht hat. Seit 2010 arbeitet er als Publisher and Editor in Chief am Metropolitan Museum of Art in New York. Der vorliegende Text ist seine erste längere Veröffentlichung zu einem popmusikalischen Thema und erschien im englischen Original in der Buchreihe 33 1/3 bei Bloomsbury im Jahr 2006.

Polizzotti ist gut informiert, aber man erkennt sofort, dass hier ein begeisterter Fan schreibt. Das muss erstmal kein Nachteil sein, es kann auch schön sein sich als Leser mitreißen zu lassen, nur muss einem klar sein, dass kritische Distanz hier nicht erwartet werden kann. Teilweise sind die Äußerungen so nah am Material, das man den Eindruck gewinnt, der Text sei in den 1960ern, direkt nach Erscheinen des Album verfasst worden. Das wirkt in den besseren Momenten sehr unmittelbar und lebendig, in den nicht so guten Momenten unreflektiert und unkritisch. Passagenweise war ich nicht sicher, ob hier wirklich der Mark Polizzotti der Met schreibt oder ein namensgleicher Hardcorefan, der komplett im Gestern lebt.

Nach zwei einleitenden Kapiteln übernimmt der Autor für das Buch die Einteilung des Albums in A- und B-Seite, auch die originale Reihefolge des Tracking wird eingehalten und dann Song für Song abgearbeitet. Polizzotti klärt auf über äußere und persönliche Umstände, über Recordingtermine, verantwortliche Produzenten und beteiligte Musiker, interpretiert Texte, stellt Verbindungen her. Es werden jede Menge Zitate platziert und auch ordentlich in Fußnoten dokumentiert. Jedes kleinste Detail wird mit Bedeutung aufgeladen, alles hat irgendeinen Sinn, weist einen Weg, der nicht anders sein könnte, als wäre das Album vom Schicksal vorherbestimmt, bei seiner Sichtweise bleibt er allerdings komplett in den Sixties stecken. Welche Bedeutung das Album / die Aufnahmen in den danach folgenden Jahren, darüber hinaus oder für folgende Generationen haben könnte wird ausgespart und dabei wäre doch gerade mehrere Jahrzehnte später die knapp fünfzigjährige Rezeptionsgeschichte des Albums interessant gewesen.

So wie er ist, bleibt der Text eine etwas nerdige, fast schon fachidiotische Ehrerbietung an einen phasenweise doch recht überbewerteten Songschreiber, dessen beste Tage mittlerweile weit zurückliegen und dessen Werk unabhängig von der Zeit ihrer Entstehung kaum zu entschlüsseln oder zu verstehen ist. Die Zeit überdauert hat dieses angeblich epochale Album nur in den Vinylsammlungen hoffnungslos verliebter Dylanologen.
Übersetzt hat Christine Heikamp, größtenteils ordentlich und lesbar. Warum auch zitierte Songtextpassagen übersetzt wurden, bleibt allerdings ein Rätsel. Man hätte das dem interessierten Leser ruhig im Original zumuten können. Wer will diese krummen, eingedeutschten Zeilen lesen, die sich nicht reimen, vollkommen unpoetisch daher kommen und bei denen nun wirklich jede hintergründige Anspielung auf der Strecke bleibt? Ein Buch für Dylanfans, die des Englischen nicht mächtig sind? Gibt es so was? Falls ja, hier bekommen sie Lesestoff.

Das englische Original ist erhältlich bei Bloomsbury, NY. Die deutsche Übersetzung erscheint bei Tiamat, hat 175 Seiten und kostet 18 Euro. www.dennisschuetze.de/blog

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