Buch: „Warum Jazz?“ von Kevin Whitehead

WarumJazzKevin Whitehead ist US-amerikanischer Jazzautor und –journalist. Er studierte amerikanische Literatur und Kultur in New York und schreibt seit mehreren Jahrzehnten Artikel für Zeitungen und Zeitschriften, für die NPR-Sendung „Fresh Air“, Liner Noten für Alben und nicht zuletzt auch einige Bücher. 2010 erschien der Titel „Why Jazz? A Concise Guide“ bei Oxford University Press, 2014 wurde der Text in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Warum Jazz? 111 gute Gründe“ bei Reclam veröffentlicht. Whitehead startet direkt mit einer knappen Einleitung, in der die grundsätzliche Idee erläutert wird. Es folgen in fünf übergeordneten Kapitel „Grundlegendes“, „Jazz von seinen Ursprüngen bis 1940“, „ Jazz von 1940 bis 1969“, „Jazz von 1960 bis 1980“, „Jazz nach 1980“, danach weiterführende Anmerkungen, eine Diskographie, eine Liste weiterführender Literatur und ein ausführlicher Register.

Wie der deutsche Titel bereits verrät, ist der gesamte Text als Frage-Antwort-Spiel angelegt, wobei sich der Autor die Fragen offensichtlich selbst gestellt hat. Für die Antworten räumt er sich 1-2 Buchseiten Platz ein, bei komplexeren Fragen sind es manchmal auch 3-5 Seiten. Gemäß den Kapitelüberschriften geht es chronologisch voran und arbeitet sich vorwärts durch die Doppeldekaden von Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Die Fragen sind gut verständlich, selten kompliziert, teilweise absichtlich einfach gehalten und bieten deswegen auch Interessenten mit nicht allzu viel jazz-historischer Vorbildung einen unverkrampften Einstieg. Whitehead thematisiert Musikstile und erklärt deren musikästhetischen Hintergrund, er portraitiert herausragende Musikerpersönlichkeiten, skizziert musikhistorische Entwicklungen und bemerkenswerte Zäsuren. Es werden einflussreiche Bandformationen, Albumproduktionen und einzelne Tracks benannt und besprochen. Er erklärt konzeptionelle Unterschiede, spricht über Paradigmenwechsel, Krisen und Grabenkämpfe (z.B. zwischen Traditionalisten und Avantgardisten). Es nimmt Stellung zu den Themen Rassismus, Frauen im Jazz, zu europäischem, südamerikanischem, asiatischem und Native American Jazz, zusätzlich betrachtet er die Grenzbereiche zwischen Modern Jazz einerseits und Folklore, Klassik, Funk, Rock oder Pop auf der anderen Seite. Zeitgeschichtlich arbeitet er sich bis ins 21. Jahrhundert vor und äußert sich am Ende sogar zur Zukunft des Jazz.

Ob es am Ende tatsächlich 111 gute Gründe für Jazz sind, die er niedergeschrieben hat, muss jeder Leser für sich entscheiden. Gelungen ist ihm auf jeden Fall eine anregende Gedankensammlung, die gleichermaßen für Neulinge wie erfahrene Jazzkenner interessant sein sollte. Er argumentiert auf angenehme und nachvollziehbare Weise und nie von oben herab. Rundum ein sehr gelungenes Büchlein und für Aficionados eventuell lesbarer und zugänglicher als etablierte Jazzgeschichtsbücher, die gerne in einen dozierenden Duktus verfallen und nicht selten auch in ihrem schieren Umfang erschrecken. Allerdings hätten ein paar Fotos und Abbildungen das Buch etwas auflockern können, so wie es ist, ist es eine reine Textsammlung. Die Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch ins Deutsche wurde von Michael Müller vorgenommen und ist trotz zahlloser Fachbegriffe und Spezialvokabeln gut gelungen, flüssig lesbar und inhaltlich tadellos.

Fazit: Whitehead schreibt routiniert, zugänglich und unterhaltsam. Immer wieder werden interessante Anekdoten und Querverbindungen zwischen die allgemeinen Ausführungen gestreut. Der Stil ist ernsthaft, solide recherchiert und dabei angenehm unakademisch. Externe Quellen sind in den Fußnoten im Anhang ordentlich dokumentiert. Dem Autor gelingt ein anregender Überblick in die inzwischen bereits mehr als hundertjährige Geschichte dieser einzigartigen, amerikanischen Musikkultur.

7 Gedanken zu „Buch: „Warum Jazz?“ von Kevin Whitehead

  1. Ich hatte das Buch schon mal in der Hand. Daß ich es nicht gekauft hatte, lag daran, daß ich nicht “nachkomme” mit meinem Vorrat an gekauften Büchern.
    Insgesamt sehr wohlwollende Kritik!

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