Noten: Erik Satie – “Ogives, Gymnopédies” & “Gnossiennes“ von Jens Rosteck (Hg.)

SatieHeute vor 150 Jahren wurde der französische Komponist Erik Satie geboren. Anlässlich dieses Jubiläums hat der deutsche Bärenreiter Verlag einige ausgewählte Klavierwerke in einer Neuausgabe veröffentlicht. Unter anderem erschienen zum Jahresbeginn die beliebten „Ogives & Gymnopédies“ und „Gnossiennes“. Beide Editionen umfassen ausführliche Vorworte des renommierten, deutschen Musikwissenschaftlers Jens Rosteck und Hinweise zur Aufführungspraxis von Steffen Schleiermacher. Rosteck schreibt zu den beiden Zyklen aus dem Frühwerk des eigenwilligen Exzentrikers Satie:

Am Ende des Vorworts zu den Gymnopédies:
„Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich die Gymnopédies aus ihrem Kontext gelöst und sind stattdessen als veritabler „Ohrwurm“ rezipiert worden. Auch und gerade in der Popularkultur haben sie sich, mit einer Breitenwirkung ohnegleichen, als musikalische Chiffre für ein „typisch“ melancholisches Paris und für französische Musik schlechthin emanzipiert. In unterschiedlichster Besetzung, Verbrämung und Abwandlung sind sie in den verschiedenen Medien omnipräsent – zum Beispiel als Jazz-Vokalise für Cleo Laine, als Soundpattern für einen DJ-Mix im Verlauf von Malcolm McLarens musikalischer Zeitreise Paris (1994) oder auch, vor allem im Bereich des Autorenkinos, als Filmsoundtrack.“

Über kompositorische Gemeinsamkeiten der Gnossiennes:
„Verbindende Stilmerkmale sind, neben der Verwendung modaler, osteuropäischer und ‚archaisierender’ Tonleitern und Skalenausschnitte sowie dem weitgehenden Verzicht auf Diatonik, die zahlreichen Sekund-, Terz-, Quart-, und gelegentlichen Quintvorschläge (…)“

Das stimmt zwar alles grundsätzlich, trotzdem klingen diese Sätze abgehobener und komplizierter als es dem Gegenstand angemessen ist. Erik Satie hatte zu Lebzeiten zwar nur mäßigen künstlerischen und nahezu gar keinen kommerziellen Erfolg mit seinen ungewöhnlichen Kompositionen. Aus heutiger Sicht gehört insbesondere sein frühes Oeuvre für Klavier zu der Sorte von Musik der klassischen Moderne, die man getrost jedem jungen Menschen, Neuling oder Fachfremden ohne weitere Erklärung empfehlen kann ohne schwierige Erklärungen mitzugeben oder sich sonst irgendwie Sorgen machen zu müssen, dass die Beschäftigung damit Unverständnis oder Ablehnung auslösen könnte. Ja, es gibt nur wenig moderne Klassik, die von einem Hörer (oder Spieler) so unvorbereitet und gänzlich intuitiv erfasst werden kann wie diese. Lasst uns Saties 150. Geburtstag feiern, indem wir seinen Kompositionen zuhören oder noch besser: sie selbst spielen.

Zur Notenausgabe: Drucktechnische Aufbereitung und Papierqualität ist – wie immer bei Urtextausgaben – hervorragend und tadellos. Die Notenhefte erscheinen bei Bärenreiter und sind jeweils für unter 7 € erhältlich. Lohnswerte Anschaffung und Pflichtprogramm für junge Komponisten, Jazz- & Popmusiker, Filmmusikschreiber und sonstige Kreative.

3 Gedanken zu „Noten: Erik Satie – “Ogives, Gymnopédies” & “Gnossiennes“ von Jens Rosteck (Hg.)

  1. Ich frage das deswegen: Nutzt sich so etwas ab oder bleibt es irgendwie zeitlos?

    Wieso hatte eigentlich Erik Satie zu Lebzeiten nur “mäßigen künstlerischen und nahezu gar keinen kommerziellen Erfolg”? Mir hilft da nicht so etwas wie: Er war seiner Zeit voraus oder ähnliches.Lässt sich mehr darüber sagen?,

    • @Gerhard: Na, ist doch schon eine erstaunliche Entwicklung vom kauzigen Außenseiter und Avantgardisten über ein paar Zwischenstationen direkt in den internationalen Kulturmainstream. Die Musik hat sich (siehe Noten) nicht geändert, aber die Zeiten und der Geschmack der Zuhörer. Satie war tatsächlich seiner Zeit voraus, dachte und komponierte bereits in der Sprache der klassischen Moderne als Europa noch tief der Spätromantik verhaftet war. Allerdings gab es ein paar Kollegen, die das erkannten und ihn noch zu Lebzeiten würdigten und aktiv förderten (Debussy, Ravel), darunter allerdings bezeichnenderweise keine Deutschen (die liebten noch ihren Wagner, Brahms, Mahler, Bruckner, etc.).
      Die Rezeption seiner Werke hat dann einen ähnlichen Verlauf wie der der Werke van Goghs. Nahezu null allgemeines Interesse zu Lebzeiten, dann innerhalb weniger Jahrzehnte quer durch die komplette Skala bis hin zur überkulturellen Selbstverständlichkeit. Da kann man sich wirklich nur wundern, aber sowas passiert immer wieder.
      Mir gefällt, dass Satie so krass mit der schwülstigen Kompositionssprache der grauenhaften (für mich) und kulturell sehr dominanten deutschen (Spät-)Romantik gebrochen hat. Da war eine sanfte Reform nicht möglich, Satie war als Autodidakt und Querdenker da genau der Richtige und setzte sich ganz klar und bewusst davon ab. Außerdem brachte er Elemente mit ein, die damals in der Kunstmusik einfach nicht vorhanden waren: Witz, Ironie, Spinnerei, Reduktion, Absurdität und sehr eigene Ideen. Er hat es als Extremindividualist und Solitär sicher nicht einfach gehabt und war ein mutiger Mann.

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