Buch: „Ströbele“ von Stefan Reinecke

stroebeleStefan Reinecke studierte Germanistik und Politik und arbeitet nach Stationen bei der Wochenzeitung Freitag und Tagesspiegel als Politikredakteur und Autor der taz. 2003 erschien seine Biographie über Otto Schily. Das Buch ist in zwölf Kapitel unterteilt und beginnt ohne Einleitung oder Vorwort. Der Aufbau ist klassisch chronologisch, nimmt mit „Kindheit und Jugend“ seinen Anfang und reicht bis zur spektakulären „Reise zu Snowden“ (2013). Hin und wieder sind zeitliche Ebenen verschoben, wenn einheitliche Themenkomplexe in einem Abschnitt zu Ende erzählt werden, während andere Handlungsstränge bereits parallel laufen. Der Autor behält allerdings stets souverän den Überblick, die Darlegungen sind immer problemlos nachvollziehbar und bis in kleinste Details sorgfältig recherchiert.

Reinecke beschreibt die Vorkommnisse in klarem Stil und mit angenehmer Gewichtung. Neben den historischen Fakten werden auch Ströbeles familiäre Herkunft, sein Charakter und seine grundsätzliche Geisteshaltung immer wieder und ausführlich thematisiert. Nur so sind viele seiner politischen Einstellungen und Handlungsweisen für Außenstehende wohl zu verstehen. Neben seinen offenkundigen links-liberalen, alternativen, von der 68-er Generationen geprägten Idealen kommt andererseits auch immer wieder sein bildungsbürgerliches, ja fast spießbürgerliches Selbstverständnis und seine juristisch-korrekte Vorgehensweisen in Denken und Arbeit zum Ausdruck. Bei aller Prinzipientreue ist Ströbele eine zum Teil auffällig widersprüchlich Figur. Er tritt für die Legalisierung von Marihuana ein, ist selbst aber gar kein Konsument, raucht nicht, trinkt nicht einmal Alkohol. Er ist Anwalt und Sympathisant, Parlamentarier und Systemkritiker, Freund von Hausbesetzern und Besitzer einer Eigentumswohnung, Direktkandidat in Kreuzberg ohne in seinem Wahlbezirk zu wohnen etc.

Gerade diese Gegensätze sind aber genau das besondere an ihm, er ist Fundi und Realo, Gegner und Befürworter, Macher und Blockierer und dabei, das attestieren ihm Freunde wie Gegner, immer freundlich, ausgeglichen, sachlich und lösungsorientiert. In allen Fragen spielen öffentliche Meinung, Fraktionszwang, Opportunismus, Karriere eine erkennbar nachgeordnete bis gar keine Rolle. Ströbele, auch das attestieren Freunde wie Gegner, ist stets hervorragend in die Materie eingelesen, bestens informiert, hat eine klare Haltung, die er begründen kann und fühlt sich einzig und allem seinem Gewissen verpflichtet. Auch wenn uns diese Haltung heutzutage naiv, idealistisch, sperrig vorkommen mag, das Recht auf eine eigene Meinung war und ist die freiheitliche Grundlage unserer parlamentarischen Demokratie gedacht und wurde so auch in Gesetzestexten manifestiert. Vermutlich ist genau das der Grund für Ströbeles Popularität nicht nur in seinem Wahlkreis, sondern weit darüber hinaus. Er arbeitet ohne doppelten Boden, argumentiert transparent, man kann sich bei ihm absolut sicher sein, dass er Entscheidungen gemäß Sachlage und eigener Überzeugung trifft. Lobbyisten und Interessensverbände jedweder Couleur dürften bei ihm einen schweren Stand haben.

Reinecke beschreibt Ströbeles Rolle in Studentenrevolten, RAF-Prozessen, deutscher Herbst, Friedenbewegung, Gründung von Alternativer Liste und Grünen, Mauerfall, Irakkrieg, Kosovo-Resolution, 11. September, Afghanistankrieg bis zum NSA-Abhörskandal und dem Fall Snowden. Ströbeles gesellschaftlicher und politischer Werdegang wird genau und mitunter durchaus kritisch beschrieben. Sein Privatleben bleibt allerdings komplett außen vor. Man erfährt gerade noch, dass und mit wem er verheiratet ist, ob er z.B. Kinder oder Enkel hat, bleibt unerwähnt. Auch über etwaige persönliche Krisen kann man nur mutmaßen.

Fazit: Eine kritische Biografie über einen gesellschaftlich engagierten, links-alternativen Ausnahmepolitiker. Ganz nebenbei erfährt man dabei viel über deutsche Nachkriegsgeschichte.

Das Buch enthält einige kleinformatige s/w-Abbildungen aus verschiedenen Lebensphasen. Das gebundene Buch erscheint im Berlin Verlag, hat 464 Seiten und kostet 24,00 Euro.

2 Gedanken zu „Buch: „Ströbele“ von Stefan Reinecke

  1. Es muß hier wohl “unerwähnt” in
    “Man erfährt gerade noch, dass und mit wem er verheiratet ist, ob er z.B. Kinder oder Enkel hat, bleibt erwähnt.”
    heißen 🙂

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