Country Boyz, Urban Chix & die Po-Ebene

Gestern habe ich ab 8:00 Mixe durchgehört und kommentiert, ab 9:00 kam dann der Klarinettenspieler Marco Gorencic und hat die letzte fehlende Spur zur Albumproduktion des Kinderliedermacher Christof Balling eingespielt und die ging postwendend weiter an den verantwortlichen Mixer Jan Hees. Puh geschafft, war allerdings auch etwas Wehmut dabei, denn das Projekt hat mich immerhin ein knappes Jahr beschäftigt, ist aber auch noch nicht rum. Wir sind jetzt mitten im Mix, gerade transkribiere ich die Lieder für die geplante Notenausgabe und direkt im Anschluss an die morgendliche Aufnahmesession kam dann prompt und wie geplant Christof vorbei und wir nahmen Voc & Git-Piloten für ein weiteres Bonuslied auf. Nach dem Mittagessen hörte ich zur Entspannung zweimal direkt hintereinander das Debutalbum „Badlands“ der jungen, amerikanischen Songschreiberin Halsey, sehr inspirierend. Danach habe ich ein Arrangement für das neue Kinderlied gebastelt und dann mein Zeug zusammengepackt.

Am Abend war die Dennis Schütze Combo für ein Konzert im legendären Nürnberger Jazz Studio gebucht. Der Club wurde 1954 von einigen engagierten Enthusiasten gegründet und besteht bis heute ohne Unterbrechung in derselben Örtlichkeiten, einem alten Luftschutzbunker. Über die Jahre hinweg hat sich dort buchstäblich die Crème de la Crème der internationalen Jazzszene die Klinke in die Hand gegeben, darunter u.a. Chet Baker, Joe Henderson und John Scofield. War also eine besondere Ehre, dass wir dorthin eingeladen wurden, das war uns durchaus bewusst. Insbesondere auch, weil wir ja nun nicht wirklich reinrassig in die Kategorie Jazz passen, allerdings hat ja gerade die Fusion verschiedener Stile, also das Nicht-Reinrassige, die wesentlichen Erneuerungen des allgemein als Jazz bezeichneten Musikstils besonders interessant gemacht. Wir hatten uns übrigens nicht um ein Konzert beworben, sondern wurden als Vorband der „Delta Saints“ in der Kofferfabrik in Fürth quasi „entdeckt“ und um einen Auftritt gebeten. Aber gerne doch, nichts lieber als das.

Wir also los, zusammengequetscht in einem kleinen Auto mit drei Personen, vier Gitarren, Verstärker und Kontrabass. Auch noch im Gepäck: Unsere neue Alben „Split Personality“ (JV) und „Urban Chic & Country Cool“ (DS). Unterfränkische Countryboyz unterwegs in die urbane, mittelfränkische Metropolregion. Lange Fahrt, viel Gelaber, beste Stimmung. Der Club war schnell gefunden, man hat das Gefühl, man steigt hinab in den alternativen Führerbunker, unten dann aber sehr chic, modern und gemütlich, es geht angeblich noch etliche Kellerstockwerke tiefer. Herzlicher Empfang von den sympathischen Veranstaltern, kurzer Soundcheck, alles cool. Danach wurden wir zum tschechischen Gasthaus „Kaiserburg“ ein paar Altstadtstraßen weiter geleitet, serviert wurde „Bohemian Soulfood“ at its best. Wir entschieden uns für Gulasch und Meerrettichfleisch, jeweils mit böhmischen Knödeln, zubereitet in Rekordzeit, dazu stilecht Kofola, das unübertroffene, ostblöckische Cola-Imitat. Von da zurück zum Club, die ersten Gäste waren schon da und los ging’s.

Wir hatten eine vielseitige Setlist zusammengestellt um für möglichst viele Eventualitäten gewappnet zu sein. Auf dem Programm standen ein paar eigene Klassiker, Interpretationen, Songs vom brandneuen Album und zwei neue Nummern („E7#9“ und „Discovery“). Der Club gut gefüllt, das Publikum hinreißend, die Veranstalter wohlwollend, was will man mehr? Ach ja: Band in bester Spiellaune. Wir wurden angeheizt, nicht nur von der sehr gut funktionierenden Feuerungsanlage im Backstageraum, sondern ganz offensichtlich auch von herausragend guten Vibes der Gegenwart (Zuhörer!) und Vergangenheit (Chet Baker!). Jochen irrlichterte bis an die Ränder sämtlicher von der modernen Musikforschung erfassten Stile und zum Teil noch weit darüber hinaus. Ich selbst ließ mich zu ausführlichen Zwischentexten hinreißen, erfreute mich an den neuen eigenen Songs, mutmaßte über den Verbleib der italienischen Hauptfigur meines Bluessongs „Cinzia“ („Umbrien? Abruzzen?“, Jochen: “Po-Ebene?“). Camilo Goitia lieferte am Kontrabass ein felsenfestes und kompromissloses Fundament, solide Erdung ist ja auch immer ganz wichtig.

Musikalisch wurde der Bogen gespannt vom Folksong zum Desert-Rock, von akustischem Feinklang zu opulenten Zerrorgien, von respektvoller Werktreue zu improvisatorischer Dekonstruktion. Das Publikum hatten wir auf unserer Seite, wir fühlten uns sicher und konnten machen, was wir wollten.

Nach Ende des Konzertes quatschten wir noch mit Zuhörern und Clubmitgliedern an der Bar, uns wurden nette Komplimente gemacht, wir gaben nette Komplimenten zurück. Unser Bassist Camilo (aus Venezuela) wurde mit südamerikanischen Weinbrand abgefüllt (aufs Haus!), ich bekam hausgemachten griechischen Joghurt mit Walnüssen und Honig und Jochen Volpert musste die übrigen Schmalzstullen verdrücken (Vertragsklausel!). Wir bekamen mitgeteilt, dass alles auf Video aufgezeichnet wurde, die Materialien werden uns demnächst zugespielt. Großes Hallo und Verbrüderung zum Schluss. Nürnberg, du bist spitze, ja, wir kommen gerne wieder.

Völlig aufgedreht durch die Nacht auf der Autobahn zurück in unsere unterfränkischen Heimatstadt Würzburg. Um kurz vor 2 Uhr morgens waren wir da, konnte nicht gleich einschlafen, war um kurz vor 3 im Bett. Mann, war das ein schöner, erfüllender Tag!

7 Gedanken zu „Country Boyz, Urban Chix & die Po-Ebene

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert