Buch: „Unfaithful Music“ von Elvis Costello

Declan MacManus, besser bekannt als Elvis Costello, ist Sänger, Songschreiber und Musikproduzent. Er wuchs auf in London und Liverpool, kämpfte sich durch die Londoner Klubszene und verbuchte ab Ende der 1970er Jahre erste musikalische Erfolge. Er folgten Tourneen, Songs, viele Alben, in der späteren Karriere interessante Kollaborationen und Filmmusiken, in letzter Zeit auch etliche Preise und Auszeichnungen. 2015 hat Costello seine umfangreiche Autobiographie vorgelegt, nur einen Monat später erschien die deutsche Übersetzung im Berlin Verlag. Mittlerweile gibt es auch ein englischsprachigen Hörbuch, eingesprochen vom Autor selbst.

Um es gleich vorweg zunehmen: Dieses Buch ist eine ungeheure, fast unleserliche Schwarte. Costello muss sehr lange an den knapp 800 Seiten gearbeitet haben und hat wirklich alles in Worten fassbare, teilweise sogar noch mehr niedergeschrieben. Es ist unglaublich wie viele nebensächliche Details der Autor erinnert und seinen Lesern ungekürzt präsentiert. Entweder hat er ein phänomenales Gedächtnis oder er hat von frühester Kindheit Tagebuch geführt und jeden Zettel, jedes Programmheft, jedes Ticket, jede Songskizze archiviert. Es werden nebensächlichste Begegnungen und Ereignisse detailliert beschrieben, beteiligte Personen in direkter Rede zitiert, Costello weiß sogar noch genau, was er vor 30 oder 40 Jahren empfunden und gedacht hat, wo er wann mit dem gewesen ist und ebenso was er dort gegessen und getrunken, vermutlich auch wie lange er auf dem Klo gesessen hat. Das ist alles schön und gut, aber es ist viel zu viel zu viel Information. Eine wesentliche Aufgabe von Autoren und gerade auch Songschreibern ist es doch nach dem allgemeinen Verständnis die Aussage auf’s absolut wesentliche zu reduzieren, Qualität statt Quantität! Von diesem verdichtendem Prinzip hält Costello allerdings offensichtlich nicht viel oder hat eventuell noch nicht davon gehört. Hinzu kommt, dass die Schrift nicht chronologisch aufgebaut ist, sondern die ausufernde Anekdotensammlung keinerlei zeitliche Abfolge einhält. So springt er innerhalb eines Kapitel von der Familiengeschichte seiner Vorväter, zu Geschehnissen seiner Kindheit, dann zur eigenen Jugendzeit, berichtet von Tourneevorkommnissen, Begegnungen mit prominenten englischen und amerikanischen Musikern, protokolliert nachträglich den eigenen Songwritingprozess, interpretiert eigene und fremde Texte, streut triviale Backstageerlebnisse bei Preisverleihungen und anderen Ehrungen mit ein, erzählt von Persönlichem und Öffentlichem und es nimmt und nimmt kein Ende. Es ist mühsam Costello bei seinen sprunghaften Gedanken zu folgen und passagenweise verliert man als Leser auch einfach die Lust sich diesen überdimensionierten Stream-of-consciousness-Wust anzutun.

Costello erzählt viel von sich selbst und seinem Vater, fast nichts über seine Mutter, seine Frauen oder sein Kinder. Und das hat wohl weniger mit der Wahrung von Intimsphäre oder Persönlichkeitsrechten zu tun. Er erscheint als wahnsinnig eitler, eingebildeter und selbstgerechter Schnösel und gnadenloser Narzisst. Es ist ihm außerordentlich wichtig immer wieder zu betonen wie schnell und nebensächlich er seine Songs und musikalischen Arrangements zusammenschraubt, seine entsprechenden Erläuterungen bieten allerdings auch keinen tieferen Einblick in seine Arbeit oder Denkweise als Künstler. Auffällig allenfalls sein fast enzyklopädisches Wissen über popmusikalische Klangsignaturen, die er immer eloquent einsetzt um zu erläutern welche Elmente er angeblich von wem geklaut hat. Mindestens genau so wichtig wie seine musikalische Arbeit, ist ihm allerdings der Jetset des anglo-amerikanischen Popadels. Namedropping all over the place, er kennt sie alle persönlich, ist ja gut, Elvis, es ist kaum auszuhalten.

Am Anfang der Lektüre fragt ich mich noch, warum Elvis Costello in meiner musikalischen Sozialisierung so gar keine Bedeutung hat, jetzt weiß ich warum: Natürlich kann er singen, schreiben und produzieren. Aber seine selbstverliebte Überheblichkeit überschattet sein künstlerisches Werk bei weitem. Wer das anders sieht, sollte diese Autobiographie lesen. Danach gibt’s nicht mehr viel zu sagen. Selbst die Interpretation seines eigenen Werkes hat Costello darin bereits vorweg genommen.

Der Autor hat seine Quellen nicht dokumentiert, tut so als hätte er alles frei aus dem eigenen Gedächtnis niedergeschrieben, was natürlich Quatsch ist. Die wenigen in den Text eingestreuten s/w-Fotos sind an keiner Stelle untertitelt. Erwähnenswert ist noch die durchwachsene Übersetzung aus dem Englischen von Henning Dedekind, Henriette Heise und Hubert Mania, aufgeteilt wahrscheinlich wegen der schieren Masse des Originaltextes. Mit popmusikalischen Termini sind sie ganz offensichtlich nicht vertraut, immer wieder entstehen unfreiwillig komische Begriffe. Lustig z.B. die Wendung „Schlagecho“, das offensichtlich wörtlich vom englischen „Slap-Delay“ abgeleitet wurde, im Deutschen jedoch einfach nicht existiert. Erinnert an die „Bluesharfe“, als Übersetzung für die „Hohner Bluesharp“ (aus einem anderen Buch desselben Verlags). An vielen anderen Stellen werden unnötigerweise Redewendungen, Songtitel und –texte übersetzt, was nicht hilfreich und zum allergrößten Teil auch sehr sperrig rüberkommt. Jemand, der nicht einmal diese einfachen Liedtexte im Original versteht, wird weder an Costello, noch an seinem Werk ein tieferes Interesse haben und ein knapp 800-Seitenbuch lesen. Interessanter wäre da schon eine weiterführende Kommentierung gewesen, aber die gibt es bedauerlicherweise nicht.

Was in der deutschen Ausgabe leider nicht erwähnt wird: Zum Buch erschien passenderweise das Album „Unfaithful Music & Soundtrack Album“, eine zweckdienliche Zusammenstellung der im Buch erwähnten und zitierten Songeinspielungen.

Fazit: Unverzichtbare Autobiographie für eisenharte Elvis-(Costello)-Fans. Bald auch als BBC-Fernsehserie, geplant sind 10 Staffeln à 10 Episoden, Sequels und Prequels nicht ausgeschlossen. 😉

Das gebundene Buch erscheint im Berlin Verlag, hat 782 Seiten und kostet 29,99 Euro.

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