Buch: „Methoden der Erforschung populärer Musik“ von Jan Hemming

MethodenDerErforschungJan Hemming studierte Musikwissenschaft in Frankfurt und Berlin, promovierte zum Thema „Begabung und Selbstkonzept“ und ist seit 2005 Professor für systematische Musikwissenschaft an der Universität Kassel. Nach „Improkomposition“ (2013) ist „Methoden der Erforschung populärer Musik“ seine zweite umfangreiche, akademische Publikation in Buchform.

Jan Hemming hat sich für seine Schrift viel vorgenommen und das ist erstmal aller Ehren wert. Es sollen „elementare Grundlagen“ und ein „Einstieg in das Gebiet der wissenschaftlichen Beschäftigung mit populärer Musik“ vorgestellt werden. Erstmals wird ein umfassender Überblick über etablierte „Methoden der Erforschung Populärer Musik“ geboten „ohne dabei auf umfassende, theoretische Reflexion zu verzichten“ (Einleitung). Das ist ein hoher Anspruch und dem werden im Folgenden immerhin mehr als 500 Seiten eingeräumt.

Der Autor hat das ausladende Buch nach Danksagung und Einleitung in elf Hauptkapitel und etliche Unterkapitel und Einschübe unterteilt. Die Hauptkapitel haben folgende Überschriften: 1. Musikwissenschaft und populäre Musik, 2. Technologie und Produktion, 3. Textuelle Analyse, 4. Semiotische Analyse, 5. Gender Studies und Performativität, 6. Empirische Forschung, 7. Kontextuelle Analyse, 8. Ökonomische Analyse, 9. Globalisierung, 10. Geschichte und Geschichtsschreibung, 11. Definition populärer Musik.

Bereits an dieser Aufstellung kann man die Herangehensweise des Autors erkennen. Die letztlich nicht ausformulierte Definition des zentralen Forschungsgegenstands („Populäre Musik“) erfolgt auf knapp 10 Seiten zum Schluss des Buches und endet mit einem kalauerndem Witz. Zu Beginn der Schrift wird hingegen auf 30 Seiten ausführlich das Verhältnis der etablierten, deutschen Musikwissenschaft zum Themengebiet betrachtet. Größte Sorge Hemmings ist hier und später immer wieder die „ungeklärte fachinterne Zuständigkeit“. An etlichen Stellen kommt er auf diese Frage zurück, passagenweise nimmt die Suche den eigentlich Verantwortlichen zu finden kafka’eske Züge an und als Leser fragt man sich ungewollt, ist das vielleicht die zentrale Frage institutioneller Akademiker in Deutschland: Bin ich überhaupt zuständig? Und falls nicht ich, wer dann?

Hemming kann sich bezüglich seiner inhaltlichen Ausrichtung nicht entscheiden. In den Kapiteln entwirft er historische Rückblicke, die irgendwann in den 1980ern stecken bleiben, spricht von internationaler Ausrichtung um dann deutsche Quellen überzubetonen und anglo-amerikanische sträflich zu vernachlässigen, es mangelt an diskutablen Notenbeispielen aus dem Bereich Pop/Rock, stattdessen seitenweise klassische Partituren von Beethoven, Strawinsky und irgendwelchen obskuren Operetten. Im digitalen Zeitalter scheint er auch noch nicht ganz angekommen zu sein. Er schreibt von Tonbandzuspielungen, Schallplatten und MIDI, immerhin hat er schon mal was von einer DAW gehört, dann dröselt er aber seitenweise die altbekannte Geschichte der prä-digitalen Musikindustrie auf: Edison, Columbia, Decca, Deutsche Grammophon (gähn), kaum ein Wort jedoch über die Möglichkeiten nach der digitalen Revolution: Downloads, Musikvideos, mobile Devices, Streaming, Playlisten, personalisiertes Radio, etc.? Komplette Fehlanzeige. Und immer wieder themenspezifische sog. „Einschübe“: „Funktionsweisen eines Magnettonbands“ (kein Witz!), „Beat- und Tempobestimmung“ mit irgendeiner doofen Software (leider auch kein Witz!), „Spezifika der Gitarrenverzerrung“ (Jeez!), „Stockhausen – Ein Pionier des Techno?“ (???). Gerade bei den technischen Themen merkt man hinten und vorn, dass der Autor offenbar nichts von zeitgemäßen Produktionsweisen mitbekommen hat, nie bei einer Recordingsession im Studio saß, nie in einem erwähnenswerten Ausmaß nachbearbeitet, korrigiert, geschnitten, gemischt und gemastert hat. Es fällt unter diesen unglücklichen Umständen sogar schwer, die korrekten, aber sprachlich oft ungelenk und unnötig kompliziert formulierten Tatsachen anzunehmen.

Hemming beruft sich ständig auf externe Autoritäten, erklärt, paraphrasiert und reflektiert deren Aussagen, lässt sich aber selten zu einer eigenen wertenden Aussage hinreißen. So stehen sich schließlich alte und mittelalte, geltende und überholte, zentrale und abseitige Aussagen ungewichtet gegenüber und lassen den Leser ratlos zurück („Was will er jetzt eigentlich sagen?“). Es kommt hinzu das fortwährend immer nur theoretisiert wird und kaum mal eine ausführliche, exemplarische Analyse präsentiert wird.

Dramaturgischer Höhepunkt ist das Kapitel „Textuelle Analyse“, das eigentlich den Kern aller methodischen Annäherungen bilden müsste und hier auf immerhin rund 70 Seiten behandelt wird. Allerdings wird noch nicht einmal zweifelsfrei geklärt, was nun eigentlich der ‚Text’ ist. Im allgemeinen Verständnis wäre das wohl die veröffentlichte Einspielung, Hemming stellt hierzu nicht einmal die Frage und die Antwort bleibt er entsprechend auch schuldig. Stattdessen beginnt er damit vermeintliche „musiktheoretische Grundlagen“ populärer Musik zu erklären. Er beginnt tatsächlich im antiken Griechenland beim guten, alten Pythagoras und seinem berühmt-berüchtigten Monochord. Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts werden Werkmeisterstimmung gestreift, Kirchentonarten präsentiert und die Funktions- und Stufentheorie zwar nicht erläutert, aber ordentlich durchgemixt und geschüttelt (nicht gerührt!) und in einer frei erfundenen und nicht näher erläuterten Synthese zur spezifischen, harmonischen Analyse angewendet. Dabei passiert Hemming ein methodischer Kardinalfehler, denn er wendet Modelle (Stufen- und Funktionstheorie), die einmal für die nachträgliche Analyse von Musik der klassisch/romantischen Epoche entwickelt wurden, unverändert und unkommentiert auf populäre Musik des 20. Jahrhunderts an, also auf Analyseobjekte, die auf vollkommen anderen Konstruktionsprinzipien basieren. Das funktioniert natürlich nicht, eigentlich irgendwie klar.
Insbesondere in diesem Kapitel passieren aber auch noch andere absolute No-Gos, die hier in Form von Stichpunkten gelistet werden sollen, es würde zu viel Platz beanspruchen auf alles detailliert einzugehen:
– Als Notenbeispiel für „Melodie und Intonation“ (im Pop!) werden grob notierte Musicalmelodien aus den 1920er Jahren präsentiert
– Unter der Überschrift „Blue Notes“ wird gar nicht erst zwischen „blues notes“ und „blue intonation“ unterschieden. Als Beispiel werden ausgerechnet ein Schlager von Stefanie Hertel und Nicole (und das auch noch in fehlerhafter Notation) dargestellt, die bei genauerer Betrachtung gar keine „blue notes“ enthalten (hätte man sich denken können). Die vermeintliche „blue note“ des ersten Beispiels stammt aus dem tonalen Fundus der verdurten II. Stufe. Wie peinlich. Und wie einfach hätte das verhindert werden können, indem man ein passendes Beispiel einer naheliegenden Stilistik wählt (Billy Holiday, anybody?).
– Auf „Bridge over troubled Water“ von Simon & Garfunkel (1969) wird eisenhart die Funktionsanalyse angewendet, allerdings in einer Komplexität, dass kein Popmusiker, vermutlich nicht einmal der Songschreiber Paul Simon selbst die Analyse nachvollziehen könnte. Dabei sollen Modelle die Betrachtung doch erleichtern und nicht verkomplizieren.
– Die harmonische Analyse von “(I can’t get no) Satisfaction” der Rolling Stones ist eine musikologische Vollkatastrophe. Ein paar Seiten vorher wird noch großspurig vom mixolydischen Kirchenmodus schwadroniert, jetzt erkennt der Autor auf einmal keinen Grundakkord mit kleiner Septime mehr und fragt sich verunsichert was ein D-Dur Akkord in der Grundtonart E-Dur verloren hat.
– Als Beispiele für die musikalischen Parameter Metrum, Beat, Puls & Tempo bekommt man historische, genaugenommen uralte Notenbeispiele (mit kyrillischen Überschriften) von Dufay und Stravinskij vorgesetzt. Was hat das bitte genau mit Populärer Musik zu tun?
– Die Analyse von Songtexten wird auf gerade mal zwei halben Buchseiten abgehandelt. Verwiesen wird dbzgl. auf die populärwissenschaftlichen Taschenbücher des deutschen (!) Medienwissenschaftlers Werner Faulstich von Mitte der 1980er Jahre. Mehr dazu nicht, auch keine noch so knappen Beispiele. Man fragt sich hier, wie Hemming wohl nur einen Dylan-Song betrachten würde. Funktionsharmonische Analyse von „Like a Rolling Stone“, Text ist da nicht so wichtig?
– Als Beispiel für die Analyse originaler (?) Notentexte ausgerechnet eine Operettenmelodie („Juliska aus Budapest“, 1937).
– Im Anschluss daran wird vor dem Erstellen eigener Transkriptionen gewarnt (!), weil sie „arbeitsaufwändig und fehleranfällig“ seien. Wie bitte? Das Abhören einer Einspielung, also des eigentlichen Analyseobjekts, sollte der Ausgangpunkt jeder ernstzunehmenden Analyse sein. Und „fehleranfällig“? Sind wohl eher die Ergebnisse von Personen, die nicht transkribieren können, dann aber vermutlich auch deren Analysen. Um diese hanebüchene Aussage noch zu toppen, wird dazu geraten kommerzielle Notenausgaben (oftmals sind das Klavierauszüge, auch wenn in den Einspielungen gar kein Klavier vorkommt) zu verwenden. Aber hat die nicht auch jemand transkribiert? Hm. (Stichwort: Externe Autoritäten)
– Als Beispiel wird ein kleiner Ausschnitt einer gelungene (Fremd-)Transkription einer Jazzpianosoloimprovisation von Keith Jarrett abgedruckt. Ja, richtig gelesen, eine Jazzpianosoloimprovisation („The Köln Concert“ von 1975). Keine Produktion, kein Song, kein Sänger, kein Songtext, kein Arrangement, keine Band, kein Pop. Leider eine weitere komplette stilistische Themaverfehlung. Warum nur? Es gibt doch unzählige passende Beispiele.
– Als Beispiel für ein Leadsheet wird eine Teilpartitur (!) von „Master Blaster“ von Stevie Wonder abgedruckt. Das ist schlicht und einfach falsch, ein Leadsheet ist die in Noten niedergeschriebene Hauptmelodie mit Akkordsymbolen
– Die essentielle Arbeit von Philip Tagg, einer der besseren, international etablierten Popmusikanalysten wird auf einer halben Seite zitathaft abgefrühstückt, das war’s. Tagg besteht übrigens, wie der hier komplett unerwähnte Analysepionier Gunther Schuller vor ihm, auf eigenhändige (!) Transkriptionen
– Die abschließenden Ausführungen zur „Prozeduralen Analyse“ sind bestenfalls ein schlechter Witz. Und ein ungeniertes Seilschaftsmanöver um einen ehemaligen Doktoranten und ehemaligen Mitautoren unterzubringen, das aber leider ohne jeden inhaltlichen Zusammenhang. Warum nur sollte man ein hochkompliziertes, abstraktes Zeichensystem erlernen und zur Verschriftlichung von Musik einsetzen? Wir haben doch schon eines, das gut funktioniert und weit verbreitet ist: Noten
– Ganz allgemein sind viele der – oft auch noch fehlerbehafteten – Notenbeispiele gar nicht aus dem Bereich Pop, auch wenn man es stilistisch undogmatisch betrachtet. Wirklich sehr typische Beispiele insbesondere aus den letzten 20 Jahren fehlen dagegen nahezu komplett.

Abgesehen von diesen Ungereimtheiten in diesem Kapitel ist Hemmings Sprache insgesamt sehr akademisch, sein Vorgehen wirkt beamtisch, sein Denken bewegt sich unübersehbar in institutionellen Bahnen, selten gelingt ihm ein erhellender Blick über den Tellerrand. Er stellt Modelle vor, die veraltet, überholt oder im Pop kaum zu gebrauchen sind (Stichwort: Funktionsanalyse), bringt Verweise und Zitate, die schwer einzuordnen sind und manchmal gehörig in die Irre führen, seitenweise Listen von angeblich weiterführender Literatur, die nicht hilfreich ist und in den seltensten Fällen weiterführend. Es ist fast schon eine pathologische Referentialität und Quellenangabesucht festzustellen, jede Aussage wird extern abgesichert, der Text wird zur Auflistung und Wiedererzählung bekannter, zum Teil längst überholter Ideen anderer. Hemmings eigener inhaltlicher Beitrag bleibt gleichzeitig unklar, verwaschen, nicht konkret fassbar. Er ist sich trotzdem nicht zu schade in den Listen regelmäßig auf seine eigenen epochalen Veröffentlichungen hinzuweisen.

Fazit: Der Autor hat sich definitiv viel zuviel vorgenommen. Es wäre klüger gewesen sich einem ausgewählten Kapitel umfassend und mit aller fachlichen Kompetenz zu widmen. Einem Studenten hätte man geraten das Thema zu straffen, Erklärungen zu konkretisieren, auf kultur-historische Ausführungen zu verzichten, markantere Musikbeispiele zu wählen und tadellose Beispielanalysen zu präsentieren.
Bei aller berechtigten Kritik muss jedoch auch festgehalten werden, dass Hemming mit seiner Schrift wertvolle Pionierarbeit leistet, indem er die in der deutschen Musikwissenschaft etablierte Methoden zur Erforschung populärer Musik benennt und den Versuch unternimmt deren Denkweisen und Arbeitsansätze zu strukturieren und zu erklären. Das hat vor ihm tatsächlich noch keiner in einer solch umfassenden Form getan. Dass das bei einem so komplexen Thema nicht immer auf allerhöchstem Niveau gelingen kann und sich für Fachleute dadurch viele Ansätze für Kritik bieten, ist fast schon von vornherein klar. Deswegen sollte man vielleicht nicht allzu hart mit ihm ins Gericht gehen. Auf der anderen Seite darf man von einem ambitionierten Professor einer deutschen Universität aber auch handwerklich saubere Arbeit erwarten und das gelingt im vorliegenden Fall leider nicht immer. Man sollte „Methoden der Erforschung populärer Musik“ daher als mutige und entschlossene Erkundungstour in die richtige Richtung verstehen. Einer musste ja mal aus der Deckung kommen und einen ersten Vorstoß wagen. Allein dafür sollte man Hemming Respekt entgegenbringen. Beim nächsten Mal könnte er sich vielleicht vor der Drucklegung die Mühe machen und erfahrene Experten der jeweiligen Fachgebiete bitten seine Ergebnisse zu sichten und ein internes Feedback abzugeben. So hätten wohl einige der gröbsten Schnitzer vermieden werden können und er hätte sich weniger angreifbar gemacht.

Anmerkung: Das Buch erscheint in der neuen Reihe „Systematische Musikwissenschaft“ des Verlags Springer VS. Jan Hemming agiert gleichzeitig als Herausgeber und Autor seines eigenen Buches, lektoriert (vermutlich auf Rechtschreibfehler korrigiert) wurde der Text von seiner Ehefrau. Ein externes Lektorat und ein anderer Herausgeber hätten dem Buch gut getan.

Das Buch hat 534 bedruckte Seiten (plus einige Leerseiten), erscheint bei Springer VS und kostet knackige 69,99 Euro.

10 Gedanken zu „Buch: „Methoden der Erforschung populärer Musik“ von Jan Hemming

  1. gut gebrüllt, aber welche kreide hat dich am ende so milde gestimmt (war es die betäubung des weins, um das ganz ertragen zu können)
    wie immer befreit und luftig geschrieben, eine wahre freude, auch wenn man keine ahnung von der materie hat; hatte ganz nebenbei kurz vor der passsage mit dem doktoranten den eindruck, dass er hier villeicht etliche altlasten mal aus der schublade geholt hat und nicht nur eine doktorarbeit verwurstet hat.
    alles in allem mal wieder ein netter gruß aus dem elfenbeinturm des akademischen betriebs.

    • @Bernhard: Ich kenne Jan Hemming persönlich von wissenschaftlichen Tagungen und als Zweitkorrektor meiner Diss. Er ist ein sympathischer Mensch und ein engagierter Wissenschaftler. Deswegen ist es mir überhaupt nicht schwer gefallen am Schluss ein paar versöhnliche Worte anzustimmen, das hat keine strategischen Hintergründe. Grundsätzlich finde ich es ja bewundernswert, wenn man sich mit gewagten Thesen und ambitionierten Arbeiten aus dem Fenster lehnt und seinen Hintern riskiert. Da muss ich mich gar nicht verstellen um das schwer in Ordnung zu finden. No risk, no fun (siehe auch mein Satz über Urteilsvermögen im letzten Blogartikel).
      Im Hauptteil musste ich aber auch konsequent die Ungereimtheiten benennen, das bin ich ihm und seiner Sache schuldig, wenn er ernst genommen werden will und davon gehe ich selbstverständlich aus.
      Hoffe nur, dass er es fachlich/sportlich nehmen kann, denn verletzten will ich nicht, auch wenn’s vermutlich im ersten Augenblick schon etwas schmerzen könnte, das ist mir durchaus bewusst.
      Habe allerdings selbst auch schon ordentlich für Blödsinn büßen müssen, den ich fabriziert habe, und so einem deutschen Prof. tut etwas fachliche Auseinandersetzung auf Sachebene bestimmt nicht weh. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, findet ja in den Institutionen selbst kein/kaum Diskurs (mehr) statt. Es ist auch wieder mal bezeichnend, dass meine Rezension die erste ist, obwohl das Buch bereits im Herbst 2015 erschien. Da sollte doch begründete, externe Kritik willkommen sein, oder? Hab’s mir nicht leicht gemacht, deswegen ist meine Rezension so lang geraten. Danke für’s Lesen und den netten Kommentar!

  2. Danke Dennis, dass Du schon selbst auf den gewissermaßen doppelten Doktorvatermord hingewiesen hast, der sich mit der Rezension verbindet (der andere ist hier: http://www.dennisschuetze.de/blog/2016/01/06/frage-wo-findet-eigentlich-musikwissenschaftlicher-diskurs-statt/)
    Zumindest ist also nicht auszuschließen, dass persönliche Motive hier das objektive Urteil überlagern. Dies als Hinweis an alle, die zufällig auf die Rezension stoßen.
    Ansonsten bestätigt sich für mich die Ansicht von Peter Wicke, dass die Praxis populärer Musik unsere wissenschaftliche und theoretische Reflexion nicht braucht und auch so bestens funktioniert. Klar können und wissen die Protagonisten vieles besser, wenn sie ihre Zeit mit dem Instrument und nicht am Schreibtisch verbringen. Das Buch hingegen richtet sich an diejenigen, die von dem Metier noch nicht viel wissen und einen Einstieg suchen. Es ist schon ein wenig ernüchternd, dass diese Ambition weder erkannt noch gewürdigt und auch nicht vor dem Hintergrund anderer vergleichbarer Angebote diskutiert wird. Andererseits darf ich mich geehrt fühlen, denn auch die Geburtsstunde der Erforschung populärer Musik war seinerzeit von ähnlich schmählichen Worten begleitet worden, wie schon in Tagg (1982) nachzulesen ist. Mögen die Resultate also ähnlich fruchtbar sein…

    • @Jan: Willkommen auf diesem Blog und danke für den Kommentar.

      Es ist nicht gleich ein Kapitalverbrechen, wenn in begründeter Form auf systemische Probleme oder fachliche Fehler hingewiesen wird. Immerhin habe ich das akademische Musikausbildungssystem auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Institutionen erfolgreich durchlaufen und verstehe mich aufgrund meiner Abschlüsse und beruflichen Erfahrungen als hochqualifizierten Fachmann. Wenn also jemand wie ich nicht mehr Kritik üben darf, wer denn bitte dann? Bleibt vielleicht die Frage warum das öffentlich geschieht, hier die Antwort: Weil es innerhalb der Institutionen meiner Erfahrung nach keine entsprechenden Mechanismen oder Infrastruktur gibt. Feedback, Kommentare, Kritik, Bewertungen, Diskussionen, Diskurs ist nicht erwünscht (positive Gefälligkeitsrezensionen mal ausgenommen). Wenn man sich solchen Korrektiven nicht stellt, kann der Aufschlag mitunter hart sein.

      Aber zurück zur Sachebene, um die es mir eigentlich geht: Ich habe mir für die Lektüre und die Rezension des Buches viel Zeit (+/- 20h) genommen und meine Kritikpunkte ausführlich dargelegt. Welche davon sind aus deiner Sicht ungerechtfertigt? Vielleicht habe ich ja auch was missverstanden. Da bitte ich um Klarstellung. Oder darf prinzipiell keine Kritik formuliert werden, wenn ein deutscher Professor ein Buch veröffentlicht? Man könnte fast den Eindruck gewinnen und dann wäre die Aussage meines Artikels, auf den du freundlicherweise mit einem Link hinweist, ja bestätigt. Freue mich auf eine Antwort oder Replik, gerne auch in Form eines eigenen Artikels auf diesem Blog, das biete ich hiermit an.

  3. @Jan Hemming: Gut, über Dennis’ teilweise drastischen Stil lässt sich streiten und mitunter hat er sicher die Tendenz, über das Ziel hinauszuschießen, aber dass er sich intensiv mit Ihrer umfangreichen Arbeit auseinandergesetzt und daran gerieben hat, lässt sich wohl kaum bezweifeln. Ich finde es deshalb ausgesprochen schade, dass Sie offenbar keine Lust (?) verspüren, sich auf diesem Blog (oder anderswo) weiter mit seinen Einwänden auseinanderzusetzen. Immerhin hat er “Methoden der Erforschung populärer Musik” wirklich gelesen. Wieviele Menschen kennen Sie, die das getan haben (und nicht unmittelbar beruflich damit beauftragt waren)?

    Beste Grüße,

    Stefan Hetzel
    (Publizist, Komponist, Pianist)
    stefanhetzel.wordpress.com

    • @Stefan: Danke für deine Aufforderung an Jan Hemming zur Teilnahme am Diskurs über sein Buch (!). Erst gestern konnte ich im Rahmen einer kleinen Netzrecherche feststellen, dass meine Rezension bis zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich die einzigste Auffindbare ist, es gibt weltweit keine andere Äußerung dazu. Dass Hemming es nicht für nötig hält auf meine umfangreiche sachliche Kritik einzugehen, empfinde ich als sehr bedauerlich und bestätigt leider, leider auch wieder mal meine These, dass musikwissenschaftlicher Diskurs kaum oder gar nicht stattfindet. Eigentlich könnte meine Rezension für Hemming ein Steilpass sein seine Thesen zu erklären und zu verteidigen, vermeintliche Fehler ins rechte Licht zu rücken, zu entschuldigen oder zu beheben. Aber das findet offensichtlich – zumindest hier – nicht statt.

      Vielleicht muss man ihm auch zugute halten, dass institutionelle Akademiker in größeren Zeiträumen denken. Übers Wochenende (Fr-Mo) werden ja prinzipiell keine beruflichen Mails gecheckt und dann haben wir auch noch Semesterferien, da sind Professoren traditionell 3-4 Wochen auf Tauchstation, nicht im Dienst, nicht ansprechbar, nicht erreichbar, das ist zumindest meine Erfahrung.

      Ich befürchte allerdings, dass in diesem Fall dem plötzlichen Verstummen Hemmings eine (aus seiner Sicht) hierarchische Schieflage zu Grunde liegt. Wer ist denn dieser Dennis Schütze, der es wagt seine mühevoll etablierte Fachexpertise in Frage zu stellen? Sachliche Kritikpunkte, die im Rezensionstext buchstäblich in Listenform aufgeführt werden, spielen bei dieser Art von Auseinandersetzung keine entscheidende Rolle mehr. Schade eigentlich. Und äußerst unwissenschaftlich.

      Im Vorfeld der Rezension, als von ihm noch ein positiver Text erwartet werden konnte, wurde mir übrigens von Hemming ein Gastvortrag an seiner Fakultät in Aussicht gestellt. Als ich um die Jahreswende andeutete, dass ich mit vielen erwähnten Punkten im Buch nicht einverstanden bin, wurde das postwendend relativiert (“Kann sein, dass es im kommenden Semester doch nicht klappt!”), aber gleichzeitig betont, dass das natürlich nicht mit dem zu erwartenden Inhalt der Rezension zu tun hätte (a là “Ich würde ja gern, aber die Umstände zwingen mich leider!”). Seit der VÖ der Rezension habe ich dbzgl. nichts mehr von Hemming gehört. War klar, so läuft das eben. Diskurs und Meinungen, die einem nicht in den Kram passen, werden weggedrückt.

      Von Naturwissenschaftlern hört man immer wieder: Wenn sie in der Schrift ihres Professors einen Fehler entdecken und ihn darauf hinweisen, bedankt er sich und korrigiert ihn. In der deutschen Musikwissenschaft wird dagegen der Hinweis eventuell übernommen (oder auch nicht), der Hinweisgeber aber in jedem Fall ignoriert. Das ist nicht fein.

  4. Ich kann mich der Kritik von Dennis Schütze, obwohl ich bis dato viel von Prof. Jan Hemming gehalten habe, nur anschließen. Zum einen wurde das Buch nicht durch das Lektorat von Frau von Dyck -Hemming Korrektur gelesen, da es dann eine andere Form, sh. die Dissertation zum Diskurs und der Durchhörbarkeit von Elliot Carter gehabt hätte. Prof. Jan Hemming ist in dieser Hinsicht nicht reel Kritik -und reflektionsfähig.

    Ebenfalls bei Durchsicht der ersten Kapitel häufige schriftliche Wortwiederholungen und Hinweise auf interne institutionelle Konflikte zwischen musikhistorischen und populärwissenschaftlichen Fachbereichen, vieles wäre wie in einem Drehbuch auf Effizienz und den tatsächlichen Informationsgehalt im Sinne eines parataktischen Satzbaues, auch für sog. Themeneinsteiger zu kürzen.
    Der globale Kontext fehlt in jeder Hinsicht.

    Kollegiale Grüße
    Dipl. Birgit Daniel

    • @Birgit Daniel: Willkommen auf diesem Blog und Danke für das Feedback zur Rezension. Die hat damals einiges in Gang gesetzt vor allem hinter den Kulissen, leider wurde sie vom Autor nicht als konstruktive Kritik oder Diskursbeitrag gewertet, sondern als plumpe Anfeindung, sehr bedauerlich.

      Haben sie es denn geschafft das Buch komplett zu lesen? Das war damals für mich eine echte Herausforderung. Der schiere Umfang und die vielen unstrukturierten Abschweifungen machen es vermutlich allen noch so wohlgesonnenen Lesern schwer.

      Welchen fachlichen Hintergrund haben sie und warum haben sie sich mit dem Buch beschäftigt?

  5. Also nach Jahren stoplere ich gerade hier drüber. Will nur die Sache mit dem Gastvortrag klarstellen: Eine von Dennis’ Hauptkritikpunkten war ja meine Analyse von Satisfaction der Rolling Stones. In Vorgesprächen zu einem möglichen Gastvortrag im geplanten Seminar “Great Electric Guitarists” hatte ich angeboten, genau diese Analyse dann aufzugreifen und gemeinsam zu verhandeln. Dennis allerdings lehnte es ab, sich mit 50 Jahre alter Musik zu beschäftigen. Vor allem deshalb ist es damals nicht zum Gastvortrag gekommen. Dennis’ Dissertation (zu rund 60 Jahre alter Musik) haben wir im Seminar dann trotzdem erfolgreich einbezogen. Was die sonstige inhaltliche Kritik betrifft, habe ich inzwischen ebenfalls vor Jahren auf Amazon eine umfassende Entgegnung formuliert.

  6. Na und wenn wir schon dabei sind, neben der konstruktiven Unterstützung von Dennis’ Promotionsprojekt als Zweitgutachter habe ich in den Jahren 2014 und 2015 für ihn sehr wohlwollende Empfehlungsschreiben zu Bewerbungen auf Professuren in den USA verfasst. Das bedeutet natürlich nicht, dass als Gegenleistung mein Buch über den grünen Klee gelobt werden muss. Dass es mit den Professuren nichts geworden ist, tat damals auch mir leid und lag vermutlich an fehlenden Publikationen jenseits der Dissertation. Die Häme über meine Verhaltensweise als Professor aus den vorangegangenen Kommentaren habe ich allerdings nicht verdient!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert