Kurzer Tagungsbericht GfPM 2016, Hamburg

Vom 18.-20. November fand am Institut für Historische Musikwissenschaft in Hamburg die 26. Arbeitstagung der Gesellschaft für Popularmusikforschung statt. Ich war daran als Redner mit meinem Erfahrungsbericht „Wo findet eigentlich (pop)musikwissenschaftlicher Diskurs statt?“ beteiligt, außerdem war ich Hörer und Diskussionsteilnehmer bei etlichen Vorträgen anderer.

Ich war mit dem ICE von Würzburg aus angereist. Weil ich zeitig angekommen war, machte ich einen Spaziergang durch die Innenstadt inkl. kleiner Stärkung (Mittagstisch@Erste Liebe, empfehlenswert) und erreichte problemlos das Institut. Nach Empfang, Registrierung und Begrüßung begann das Programm pünktlich um 15.00 mit einer Keynote des gastgebenden Institutsleiters Friedrich Geiger, der sich dazu das Thema „Virtuosität von Franz Liszt bis Snark Puppy“ herausgesucht hatte und bot damit einen konkreten und interessanten Einstieg zur Tagung (Grundthese: Virtuosität basiert auf visueller Darstellung). Übergreifendes und vorgegebenes Thema der Tagung war „Schneller, höher, lauter – Virtuosität in (populären) Musiken“. Der Call dazu war bereits vor ca. einem Jahr rausgegangen, Einsendeschluss war irgendwann im Frühjahr, die Referenten hatten also mehrere Monate Zeit ihren Vortrag vorzubereiten. Die Vorträge setzen sich zusammen aus solchen mit tatsächlichem Bezug zum bewusst breit angelegten Thema Virtuosität und sog. freien Beiträgen, die (meist in Raum C) ein anderes, selbst gewähltes Thema hatten. Oftmals wirkten die Vorträge mit Bezug zum Thema Virtuosität mehr oder weniger konstruiert, tatsächlich wurden wohl Themenbereiche, in die der jeweilige Referent eingearbeitet ist, zurecht gebogen um der Vorgabe zu entsprechen.

Ich selbst war bereits im zweiten Block dran, zu diesem Zeitpunkt liefen drei Vorträge gleichzeitig. Der für mich gesetzte Raum C war entgegen meiner Befürchtungen gut gefüllt als ich ankam. Mein Vortrag wurde von Ralf von Appen moderiert, ich wurde kurz vorgestellt und begann zu sprechen. Ich hatte meine Rede komplett ausformuliert und verwendete kein Powerpoint oder andere visuelle Formen der Darstellung. Hatte geplant meine Rede als konzentrierte Performance durchzuführen um so meinem persönlichen Erfahrungsbericht mehr Kraft zu geben. Ich kam zeitlich gut durch, nach ca. 25 Minuten war ich fertig. Es hatte am Anfang des Vortrags den ein oder anderen erstaunten Lacher gegeben, gegen Ende waren die allerdings verstummt, die meiste Zeit war es erstaunlich still. Danach spürte ich eine Mischung aus Betroffenheit, Sprachlosigkeit und ja, auch etwas Traurigkeit im Raum. Ich hatte gehofft, dass meine nüchterne Subjektivität im Vortrag das auslösen würde. Zum Glück fühlte sich niemand provoziert, das war nämlich sicher nicht meine Absicht, alle waren bis zum Schluss geblieben, das deutete ich als positives Zeichen. Von Appen fand einen passenden Übergang zur Diskussion. Mehrmals wurde mir hier und auch im weiteren Verlauf der Tagung für meinen Mut gedankt. Die meisten Diskussionsteilnehmer bestätigten meine Erfahrungen grundsätzlich, sie hatten wie ich ähnliches in anderen Varianten erlebt. Es gab allerdings auch ein paar Personen, die meine Erfahrungen nicht teilten, aber zumindst von ungünstigen Situationen anderer wussten. Überwiegend wurde mein Standpunkt jedoch bestätigt. Ich wurde dann nach Gründen für diese Situation gefragt und nach Vorschlägen für eine Lösung. Ich betonte hier noch einmal meine Bebachtersituation als nicht institutioneller Externer und verwies auf’s Schlusswort: Einander zuhören und miteinander reden.
Am Ende erwähnte ich den aktuellen Blogartikel mit Verlinkungen zu meinen zurückliegenden Fachbuchrezensionen und bat um Feedback und Kommentare auf dem Blog. Im Verlauf des Wochenendes konnte ich tatsächlich deutlich erhöhte Zugriffszahlen (letzter Stand: 120) verzeichnen, kommentiert wurde allerdings nur von mir bereits zuvor bekannten Blogbesuchern.

Es folgte eine weiterer Vortragsblock, ich blieb im gleichen Raum sitzen und hörte mir den freien Beitrag „Rock und Pop im Pott – Lernort Museum als Schnittstelle schulischer und außerschulischer Vermittlung populärer Musik“. Es ging dabei um die Kuratierung der gleichnamigen Ausstellung, an der der Referent aktiv beteiligt gewesen ist. Danach kleine Verschnaufspause und die jährliche Mitgliedsversammlung bei der u.a. neben einige Formalien der verdiente Gewinner des Nachwuchspreises ausgezeichnet wurde und Ort und Thema der GfPM-Tagung im November 2017 bekannt gegeben wurden. Außerdem wurden Austritte aus wissenschaftlichem Beirat und Vorstand bekannt gegeben, bis zur Neuwahl im kommenden Jahr wird nach mehrheitlichem Beschluss in reduzierter Besetzung weitergearbeitet.

Der Samstag startete für mich mit einem Vortrag des E-Gitarrenspielers und -forschers Jan Herbst, es war eine „experimental-analytische Studie zur Auswirkung von Gitarrenverzerrung auf das Solospiel im Rock und Metal“. Sehr speziell, aber auch interessant. Seine veröffentlichte Promotionsarbeit liegt bei mir auf dem Schreibtisch und wird demnächst auf diesem Blog rezensiert. Danach kam der Workshop „Software Tools für die Musikanalyse“. Kommt alles aus dem Dunstkreis von Martin Pfleiderer aus Weimar-Jena. Zusammenfassend lässt sich wohl sagen, dass hier viel gearbeitet wird, aber die Ergebnisse doch überwiegend übersichtlich oder banal erscheinen. Etwas im Widerspruch dazu steht dagegen die Begeisterung der Musikinformatiker, selbst dann, wenn Demonstrationen schief gehen und oder der Erkenntnisgewinn sichtbar gegen Null geht (teilsweise sogar drunter, weil verschleiert falsche Ergebnisse entstehen). Für Analysepraktiker (noch?) nicht zu gebrauchen, ließ mich der Vortrag ratlos zurück, kann die Technikverliebtheit nicht nachvollziehen, wenn Aufwand und Ergebnis in einem so furchtbar schlechten Verhältnis stehen. Aber nach einem Nutzwert darf in diesen Kreisen bekanntlich nicht gefragt werden, darüber gibt es anscheinend ein stillschweigendes Gentlemen Agreement, weil sonst zu viele Kartenhauskonstruktionen ruckzuck ineinander zusammenbrechen würden. Wenn weder die Öffentlichkeit, noch Industrie, auch nicht Musiker und am Ende nicht mal Fachkollegen sich für die Forschungsergebnisse interessieren, ist meiner Ansicht nach Zeit aufzuhören öffentliche Gelder in ein Projekt zu stecken, können die Beteiligten ja gerne als Hobby weiterpflegen. Klar, dass es eventuell eine Weile braucht um zu dieser Erkenntnis zu kommen, aber ab irgendeinem Punkt sollte man die Reißleine ziehen, sonst wird’s absurd.

Den nächsten Vortrag habe ich zwecks Austausch und Diskussion verpasst, dazwischen gab’s ein einfaches, aber schmackhaftes Mittagessen. Und dabei habe ich einen interessanten Gesprächspartner aus Osnabrück kennengelernt und mit ihm zusammen gleich den nachfolgenden Vortragsblock verpasst. Danach musste ich mich entscheiden: „Magnetismus, Kontagion, Historalepilepsis“ oder „Dream Theater“. Ich ging zum zweitgenannten, war leider ziemlich langweilig, furchtbar rückständige Musik, im Vortrag präsentierte der akademische Fanboy seine Lieblingsband. Schade, dass mich der Magnetismus nicht angezogen hat (Wortspiel!), wollte aber auch nicht nachträglich reinplatzen. Anschließend „Virtuosität in der Kategorie Crossover“, klang besser als es war, es ging primär um den Popstar/Fiedler David Garrett und sein angebliches Crossover. Erst wird emsig in die Kategorien E & U unterteilt, dann folgt ganz überraschend die große Vereinigung der Gegensätze, die zuvor künstlich und ohne Not getrennt wurden. Typische Kreislogik der deutschen Musikwissenschaft: Ich verenge erst den Blick und entdecke durch umständliche wissenschaftliche Betrachtung, dass es doch noch anderes gibt, Zauberei für den Kindergeburtstag. Aber die Referentin war grundsätzlich sympathisch, man hatte den Einruck das seltsame methodische Manöver ist ihr in dem Augenblick auch erkenntlich geworden und sie hat nicht krampfhaft dran festgehalten. Also alles okay, denn dafür sollten solche Präsentationen ja auch gut sein. Entstanden war das Dilemma durch die unsägliche Unterscheidung in E und U-Musik, an der selbst etliche Professoren der Tagung gerne festhalten. Nicht so Harald Huber aus Wien. Der forderte bereits während des Aufbaus seines Laptops für die folgende Sitzung den aktuellen Tag als Tag der Überwindung dieser bipolaren Einteilung von Musikkultur zu beenden. Sympathischer Mann, erfreulich unkonventionell und so was aus der erzkonservativen österreichischen Hauptstadt. Im Vortrag „Performing Diversity“, zusammen mit Magdalena Fürnkranz präsentierte er nebenbei seinen selbstentwickelten und außerordentlich anschaulichen Musikstilfelder-Globus. Alles zusammen sehr wort-, ton- und bildreich und dabei erfrischend anders, hin und wieder etwas ungeordnet, an der Grenze zur Unübersichtlichkeit, lag vermutlich daran, dass während des Vortrags aus Zeitmangel kürzend improvisiert werden musste, trotzdem insgesamt vitalisierend. Ich wies noch darauf hin, dass, wenn die Kategorien E und U überwunden werden soll, dann doch auch gleich auf die Bezeichnung „elitär“ für Jazz und Klassik verzichtet werden müsste. (Memo an mich selbst -> Themenidee für kommende Tagung: „E & U: Plädoyer für das Ü“).

Danach geselliges Beisammensein in der Trattoria Mamma. Wir waren ein große Gruppe, ich saß mit vier sehr angenehmen Tagungsbesuchern an einem Tisch. Zum x-ten Mal wurde ich innerhalb von 24 h sympathisierend auf meine Rezension zu Hemmings „Erforschungsmethoden…“ angesprochen. Fanden alle gut, ich fühlte mich in der Runde gezwungen zu erklären, dass ich mit meiner meinungsstarken Äußerungen keinesfalls Ärger provozieren wollte und zutiefst bedauere, dass der Autor meine Kritik so extrem persönlich genommen hat. Ich wies auch darauf hin, dass keiner, wirklich keiner, der mich darauf ansprach, das Buch selbst gelesen hatte, anscheinend war ich der einzige. Ein Umstand, der die These meines eigenen Vortrags und die Frage nach der Existenz eines wissenschaftlichen Diskurses nocheinmal berechtigter erscheinen lässt. Noch einmal: Ich hatte danach hohe Zugriffszahlen auf die Rezension, kommentiert hat niemand (außer der beleidigte Autor).

Sonntag um 9:00 ging’s weiter, bin extra früh aufgestanden um den Kollegen mit den ungünstigen Vortragszeiten ein Publikum zu sein, einige andere Tagungsbesucher waren bereits am Samstagabend abgereist oder aus sonstigen Gründen nicht mehr da. Hörte mir einen Vortrag zum „deutschen musikjournalistischen Diskurs zu Virtuosität, Authentizität und Subversionspotential von elektrisch-populären Musikstilen“ der Italienerin Ambra Cavallaro an. Sie untersuchte Interviews des Fachblatt Musikmagazin. Man muss dazusagen, dass es sich dabei um das Ergebnis einer ambitionierten Magisterarbeit handelte und keinesfalls (wie in den meisten anderen Fällen) um eine auf Jahre angelegtes Dissertationsprojekt. Gemessen daran hat Cavallaro eine beeindruckende Arbeit vorgelegt und das noch dazu in einer Fremdsprache. Bravo! In der anschließende Diskussion wurde mehrfach die (über?)kritische Frageweise der für die untersuchten Interviews verantwortlichen Fachblattjournalisten, ja was eigentlich, kritisiert? Jedenfalls wurde das Fachblatt Musikmagazin mehrfach als rückständig und „erzkonservativ“ bezeichnet und zwar so oft, dass ich mich aufgefordert fühlte eine Gegenposition einzunehmen und zu bekunden, dass ein kritischer Umgang doch etwas durchaus positives sein sollte. Und der eben vernommene Vortrag hatte doch gerade unter Beweis gestellt, dass das Fachblatt trotz seiner prinzipiellen Pop/Rockmusikalischen-Ausrichtung sich auch mit damaligen Rand- und Avantgarde-Bereichen des Pop kritisch auseinandersetzte. Die Reaktion: Betretenes Schweigen. Kritisch/konträre Bemerkungen insbesondere gegenüber Professoren sind nach wie vor unüblich. Warum eigentlich?

Es folgte ein gut vorbereiteter und hochinteressanter Vortrag des Südtirolers Lorenz Gilli über die „(De-)Konstruktion von Virtuosität in der Elektronischen Tanzmusik“. Der Mann hat seine Hausaufgaben gemacht, befindet sich im Augenblick aber noch in Recherche -und Schreibphase. Wieder mal war auffällig, dass die außerbundesdeutschen Beiträge besonders einfallsreich erscheinen. Guter Mann, man darf gespannt darauf sein, was da noch kommen wird. Verpasst habe ich dann leider Michael Ahlers Vortrag zur „Virtuosität im Gangsta-Rap am Fallbeispiel Kollegah“. Habe da nur noch die Diskussion mitbekommen.

Von Appen fand dann zum Abschluss der Tagung über Virtuosität die passenden Schlussworte, das nächste Treffen wird in einem Jahr in Graz stattfinden. Für mich hat sich der Tagungsbesuch gelohnt. Viele anregende Vorträge, Begegnungen und Gespräche, Redner und Zuhörer haben sich verjüngt, merke aber auch, dass ich selbst offensichtlich älter geworden bin. Meinte auch erste Anzeichen zu verspüren, dass sich mit diesem demographischen Wandel auch die in meinem Vortrag kritisierte Diskurskultur innerhalb des Faches leicht zum Positiven verändert hat. Allerdings liegt da zu einer angemessenen Offenheit, insbesondere gegenüber außerinstitutionellen Einflüssen, noch ein weiter Weg vor uns. Insgesamt kann ich aber auf jeden Fall eine positive Bilanz ziehen und denke, dass der Tagungsbesuch sicher noch ein paar Wochen nachwirkt. Eine Verschriftlichung einiger zentraler Vorträge wird hoffentlich bis zur Jahresmitte 2017 erscheinen, da können dann auch Außenstehende einige ausgewählte Texte nachlesen, leider mit der branchenüblichen Verspätung.

Herzlichen Dank an die Organisatoren und alle Beteiligten!

12 Gedanken zu „Kurzer Tagungsbericht GfPM 2016, Hamburg

  1. Was Du zu den “Musikinformatikern” schreibst, hätte ich auch gerne miterlebt, um mir ein Bild zu machen.
    Gehört da auch “Live-Coding” dazu?!

    Mir kommen die Notizen hier vor wie Henry Millers kurze Notizen am Cafetisch, die er sogleich verschicken konnte, so mehrmals am Tag Kontakt zu Gleichgesinnten und Freunden herstellend ( in der handylosen Zeit) 🙂

    • @Gerhard: Kann dir auch nicht sagen, was die da machen, aber auf mich wirkt alles sehr betriebsblind. Habe den Eindruck, dass Hersteller von Musiksoftware wie “Autotune”, “Melodyne” oder “Band-in-a-Box” da schon vor vielen Jahren bedeutend weiter waren und den Stand der Technik auch praktisch und kommerziell nutzbar gemacht haben. Die erkennen z.B. längst Einzeltöne aus Akkorden in Musikdateien und machen es möglich einzelne davon zeitlich, klanglich sowie bzgl. Tonhöhe zu verschieben. Davon sind die Akademiker weit entfernt. Sie müssen mühsam händisch transkribieren, Ergebnisse zigfach korrekturlesen um sie dann in eine Art Midimatrix zu übersetzen, das etablierte Midi wollen sie aus irgendeinem Grund nicht verwenden. So verfuddeln sie unendlich viel wertvolle Zeit um Datenbanken zu erstellen, die nur selbstgeschriebene Spezialprogramme entziffern und auswerten können. Die präsentierten Ergebnisse waren wirklich unfassbar mickrig, aber der technische Aufwand enorm. Wahrscheinlich würde ein Anruf und ein Treffen mit einem der führenden Musiksoftwarehersteller vieles aufklären und beschleunigen, steht aber natürlich vollkommen außer Frage. Es ist zum verzweifeln wie sie kryptisch vor sich hin frickeln, während man selbst in der Praxis längst ähnliche Problemstellungen mit handelsüblicher Software löst und ruckzuck weitervoranschreitet. Oft sind meiner Ansicht nach übrigens die Fragestellungen der Anfang fehlgeleiteter Entwicklung.

      Ach ja: Was ist Live Coding?

      Danke für den Vergleich mit Henry Miller. Hatte und habe übrigens selbst noch immer kein Smartphone oder Handy. Ich empfinde das als Freiheit.

  2. Wie livecoding genau funktioniert , weiß ich nicht. Hatte auf soundcloud kurzen kontakt mit jemandem, der sich darin versucht. Dieses verfahren gibt es schon seit zehn jahren, ist also eine alte Herangehensweise. Beim livecoding erzeugen mehrere mitspieler durch live veränderung eines codes den Beitrag zum ganzen. Anstatt knöpfe zu drehen und Samples anzusteuern, reagieren sie auf mitspieler ad hoc mit coding, also music- Software -umschrieben. Auf Wikipedia gibts was dazu, aber vorstellen kann ich mir es nicht im Detail.
    Ich habe hierzu eine cd eines Quartetts und die ist wirklich besonders frisch und stark.

    • @Gerhard: Da gibt’s wohl ein Missverständnis. Bei dem was erwähnte Musikinformatiker entwickeln geht es um nachtägliche Analyse von bereits eingespielter Musik. Es geht nicht darum Software für die Produktion von Musik nutzbar zu machen, obwohl mich selbst das natürlich auch viel mehr interessieren würde.

      Analyse erfolgt nach wie vor mit dem eigenen Ohr, leider kann man gerade bei zeitgenössischer Popmusik selten bis nie direkte Einblicke in den Produktionsprozess bekommen. Da muss man sich aus Hör-, Spiel- und Produktionserfahrung seinen eigenen Reim drauf machen. Die Ergebnisse sind nicht immer korrekt im streng wissenschaftlichen Sinn, aber der Weg dahin kann ungeheuer bereichernd und inspirierend sein.

      Die Musikinformatiker suchen nach einem Weg diesen Humanfaktor zu umgehen. Am liebsten wäre ihnen der Weg MP3-Datein in – Analyse out. Meines Erachtens gibt es bei einer wertvollen Analyse aber viel zu viele Situationen individueller Beurteilung, denen verschiedene Betrachtungsweisen, Fragestellungen, Auslegungen zu Grunde liegen. Kann mir nicht vorstellen, dass man diese schier unendlichen Zwischenbeurteilungen und Einschätzungen stil- und epochenübergreifend verallgemeinern und immer noch zu einem interessanten Gesamtergebnis kommen kann. Denn genau diese Unfassbarkeit und Diversität macht ja kreative und phantasievolle Musik aus. Lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen! DAnn aber bitte nicht so wie im Vortrag, das war eindeutig eine löchrige Lowperformance.

        • “Am liebsten wäre ihnen der Weg MP3-Datei in – Analyse out.”
          “Denn genau diese Unfassbarkeit und Diversität macht ja kreative und phantasievolle Musik aus. ”

          Man will also Kreativität und “Unfassbarkeit” abbilden können?!

          • @Gerhard: Naja, sie konzentrieren sich natürlich auf die fasslichen Bereiche und das ist vor allem Melodik und Rhythmik, schon bei Harmonik hängt’s aber schon, denn sobald ein Klangereignis aus mehr als drei Tönen besteht (und das kommt oft vor), ist es auf mehrere Arten interpretierbar. Komplexere Klanganteile wie Lautstärke, Dynamik, Sound, Feel etc. und erweiterte musikalische und außermusikalische Faktoren fallen da aus und so entsteht ein ziemlich eingeschränktes Bild, das in der Analyse durch punktuelle Fragestellung zusätzlich an Aussagekraft verliert bis es am Schluss wie ein kryptischer, unverständlicher Datensatz erscheint. Es kommt also dazu, dass durch diese Abstraktion die Magie der Musik (also ihre wesentliche Substanz) komplett verloren geht, aber das ist bei dieser Methode bedauerlicherweise Nebensache, die von kaum einen der Beteiligten kritisch hinterfragt wird.

            Musik ist mehr als ein Algorithmus.

  3. “außermusikalische Faktoren”
    Ein Klangereignis ist auch immer untrennbar mit dem Hörenden verbunden. Der Beobachter verändert sozusagen das zu Beobachtende. Wie könnte man das abbilden?!

    Ganz profan auch: Die Aufnahme von Musik hängt auch von einer Art Empfängergitter im Gehirn ab, das Töne dann als zusammenhängend erlebt, wenn sie in ein entspr. Raster fallen.

    http://www.deutschlandfunk.de/wie-wir-zeit-erleben-im-strom-des-augenblicks.740.de.html?dram:article_id=341280

  4. Lieber Dennis,

    danke dass du einen so ausführlichen Bericht zur Tagung verfasst hast! Leider bin ich erst jetzt drauf gestoßen. Meines (und Googles) Wissens nach ist das der einzige Bericht – außer einem kurzen Résumé auf Facebook von Ralf von Appen.
    Und vielen Dank auch für die lobenden Worte für mich. Allerdings finde ich die Überbetonung meines “außerbundesdeutschen” Status nicht ganz passend und auch nicht ganz korrekt. Ja, ich bin in Südtirol geboren und aufgewachsen, und habe in Wien (und 1 Jahr in Berlin) BWL mit Schwerpunkten auf Werbewissenschaft und Wirtschaftsinformatik studiert, wonach ich mich erst mal der Musikwirtschaft zugewandt habe. Den Großteil meiner medien-/pop-/kulturwissenschaftlichen Prägung aber habe ich in Deutschland erhalten, wo ich seit Okt. 2013 – an der Uni Siegen – als Doktorand und wiss. Mitarbeiter tätig bin. Ich denke, so viel Aufrichtigkeit muss sein 🙂
    Hat mich sehr gefreut, dass wir uns kennengelernt haben! und bis bald in diesem Kino 😉

    Lorenz

    PS: Die Deadline für die Einreichung der schriftl. Beiträge ist Ende Jan. Konkretes Datum für die VÖ gibt es offenbar nicht, aber soweit ich weiß, ist sie für Ende 2017 geplant.

    • @Lorenz: Danke für den Kommentar und willkommen auf diesem Blog. Danke auch für die Richtigstellung was den (Ausbildungs-)Status betrifft, ich erkenne trotzdem noch etwas intereuropäischen Flair und das gefällt mir!

      Danke auch für den Hinweis zur Deadline Ende Jan, habe dbzgl. gar keine Mitteilung von der GfPm bekommen und auch nichts im Netz gefunden. Gut, dass ich es jetzt weiß. Wirst du was einreichen? Halt mich auf dem Laufenden.

      Es hat sich übrigens für mich in Anschluss an meinen Vortrag ein interessanter Austausch mit Norbert Schläbitz aus Münster ergeben, der sich auch in einigen Kommentaren auf diesem Blog niederschlug (Artikel: http://www.dennisschuetze.de/blog/2016/11/28/buch-jack-white-von-nick-hasted/#comments ). In den kommenden Tagen wird hier zusätzlich ein Gastbeitrag mit dem Titel “Die Historische Musikwissenschaft – eine postfaktische Disziplin” von ihm publiziert.

      Alle Blogartikel (insbesondere der Tagungsbericht) dürfen übrigens gerne verlinkt, geteilt oder weiterempfohlen werden. Ich bin selbst aus Überzeugung nicht bei Facebook, freue mich aber trotzdem über jeden Leser!

      Herzlicher Gruß
      D

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